: Katze im Sack findet Straßenköter
Auf ihrem Suhler Parteitag wollten die Bündnisgrünen keinen ideologischen Streit um Bosnien. Sie feierten einmütig Röstel und Trittin als ihre neue Doppelspitze. Und verhängten ein internes Flugverbot ■ Aus Suhl Dieter Rulff
„Guten Tach, ich bin der Jürgen.“ Zur Einleitung seiner Kandidatenrede schlüpft der Parteivorsitzende in jene hilflos anmutende Attitüde, mit der sich bei den Bündnisgrünen schon dutzendfach hintere Ränge in vordere Reihen drängten. Das Understatement erzielt den gewünschten Effekt. Es verblüfft all jene, die von Jürgen Trittin das gewohnte schneidend- programmatische Stakkato erwartet haben.
Stille herrscht unter den Delegierten des bündnisgrünen Parteitages in der Suhler Kongreßhalle. In die hinein verspricht Trittin, daß – wer ihn wähle – keine Katze im Sack, sondern einen notorischen Straßenköter wolle. Ein Vorsitzender mit Unterhaltungswert, das ist neu, doch nicht jedem Delegierten gefällt der kokette Ich-Bezug. „Machohaftes Gehabe, divenhaftes Verhalten“, mosern einige Puristinnen.
So oft Trittin das Wörtchen „ich“ in den Mund nimmt, so häufig redet Gunda Röstel von Helmut Kohl. Die „Katze im Sack“, die Unbekannte aus dem sächsischen Flöha, die Ostquotenfrau nimmt die Parteiversammlung im Sturm und attackiert die Bundesregierung. Zehn Minuten verbale Attacke, gespickt mit Gespött auf den politischen Gegner und garniert mit viel Ostbezug.
Mittendrin, eingebettet in die Passagen über das europäische Haus, die Klippe der Bosniendebatte: „Ich sehe zu Ifor keine Alternative, wenn wir nicht weiter unschuldige Menschenopfer riskieren wollen.“ Röstels Bekenntnis wird wegen seiner Klarheit auch von Pazifistinnen anerkannt. Eine starke Rede habe sie gehalten, heißt es hinterher, weit stärker als die Ausführungen, für die Krista Sager vor zwei Jahren in Potsdam knapp zur Parteivorsitzenden gekürt wurde. In der Fragerunde umschifft Gunda Röstel genauso elegant die Untiefe der feministischen Vorhalte wegen ihrer Skepsis gegen die Quote. Das gewohnte Stichwort „Lernprozeß“ fällt erwartungsgemäß. Eigene Akzente setzt Röstel mit ihrem Plädoyer für den Mittelstand und mit ihrem offenen Zugehen auf die Gewerkschaften.
Deren Vorsitzender, Dieter Schulte, hatte tags zuvor in einer Grußadresse betont, daß Grüne und Gewerkschaften mehr gemeinsam haben, „als nur die Überzeugung, daß in Bonn eine unfähige Regierung amtiert“. Ausdrücklich bedankte er sich für die Unterstützung, „die wir Gewerkschaften von Ihnen in der Auseinandersetzung mit der Bonner Regierung erfahren haben“.
Während er sich dafür von eben dieser Regierung vorhalten lassen mußte, daß er die parteipolitische Neutralität verletze und mit dem Feuer spiele, feierten ihn die grünen Delegierten mit der gleichen routinierten Freundlichkeit ab wie Stunden später eine Suhler Bürgerinitiative gegen den Autobahnbau. Röstel konterkarierte nicht nur verbal diese kulturelle Fremdheit, die zwischen Grünen und Gewerkschaften noch immer spürbar ist.
Gunda Röstel erhielt 70,3 Prozent, das ist gemessen an ihrem Bekanntheitsgrad und den innerparteilichen Vorbehalten gegen die Ostquote ein sehr gutes Ergebnis. Trittin hatte bereits vor dem Parteitag die Devise ausgegeben, ihm reichten 50,1 Prozent, um gewählt zu werden. Doch ist er wohl froh, mit 70,5 Prozent noch knapp vor Röstel zu landen. Vor zwei Jahren hatten noch 85,4 Prozent für ihn votiert. Doch diesmal war klar, daß die Realos ihm konsequent ihre Zustimmung versagen würden. Zu viele haben zu viele alte Rechnungen offen.
Da half es Trittin auch nicht mehr, daß er in seiner Rede versprach, all diejenigen zu enttäuschen, „die meinen, es sei die vornehmste Aufgabe des Bundesvorstandes, im Stile einer eifernden Glaubenskongregation die Prinzipientreue der Fraktion exegetisch zu überwachen“. Das waren neue Töne, die von den Realos aufmerksam registriert wurden. Bis dato hatte Trittin zu denjenigen gezählt, die in der Bosniendebatte bei der Fraktion und vor allem deren Vorsitzenden Fischer die Einhaltung der Parteitagsbeschlüsse einklagten. Ein entsprechender Passus war auch noch in dem Antrag enthalten, den er selbst auf den Parteitag mit eingebracht hatte. Darin wird „eine Ablösung von Ifor durch Peacekeeping-Einheiten der UN“ gefordert.
Um die Frage, ob einem Ifor- Folgeeinsatz zugestimmt werden kann, und wann dieser gegebenenfalls durch UN-Truppen abgelöst werden soll, ist seit Tagen ein erbitterter Streit in der Fraktion entbrannt. Während die Linken eine Ersetzung der Nato-Truppen durch UN-Kontingente wollen, halten die Realos um Fischer das nur dann für machbar, wenn dadurch die notwendige militärische Präsenz nicht gemindert wird. Mit einem entsprechenden Parteitagsbeschluß sollten die Fischer-Fraktionäre unter den Druck der Partei gestellt werden, lautete das Kalkül der Linken.
Allerdings weigerte sich der Parteitag bereits bei seiner Eröffnung, die Bosniendebatte auf die Tagesordnung zu setzen. Es bestand keine große Neigung, die Debatte des Bremer Bosnienparteitages vom Herbst 95 erneut aufzulegen. Das bekam auch Trittin zu spüren, als er am ersten Abend in seinem Rechenschaftsbericht den parlamentarischen Geschäftsführer Werner Schulz abkanzelte, weil der sich während der gemeinsamen Bosnienreise der Partei und Fraktion abfällig über die Pazifisten geäußert hatte.
Beifall und Buhrufe hielten sich bei Trittins Äußerungen die Waage und signalisierten den Überdruß mit einer Debatte, deren Komplexität sich nicht mehr für klare Lagerbestimmungen eignete. Deshalb blieb auch ein Gegenantrag, den Joschka Fischer vorsorglich formuliert hatte, in der Schublade.
Der Vorsitzende kann sich nun in der Fraktion einer Mehrheit für seine Position sicher sein. Und so sah Fischer zum erstenmal seit langem keinen Anlaß, auf einem Parteitag eine Rede zu halten. Er schlenderte als einfacher Delegierter aus Frankfurt am Main durchs Foyer, dieweil sein ewiger Kontrahent sich wacker mit einer Parteibasis herumschlagen mußte, die dem Bundesvorstand gerade per Beschluß Inlandsflüge verbieten wollte und Übernachtungen in Jugendherbergen nahelegte.
Ein Antrag, der zu den eindeutigen Höhepunkten eines Parteitages zählen sollte, der sich über weite Strecken der inneren Organisationsstruktur und der Verteilung der finanziellen Mittel widmete. Eine Million Mark sollen künftig jährlich in den Aufbau Ost gesteckt werden, davon allerdings nur 200.000 Mark durch die Hände des Bundesvorstands fließen. Positionen, über die sich trefflich ereifern läßt. Und so sprachen nicht nur ökologische, sondern auch finanzielle Gründe für das Flugverbot, gegen das sowohl Gunda Röstel als auch Jürgen Trittin lauthals opponierten. Beide wollen weiterhin der Familie und der knappen Freizeit zuliebe Flugzeuge nutzen.
Und so ist als erste gemeinsame Handlung der frisch gewählten Parteispitze der Bruch eines Parteitagsbeschlusses zu vermelden. Kein schlechter Anfang.
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