: Sie singt mit Zarah vom Wunder
In Berliner Theatern geht's zur Sache: Im Berliner Ensemble steht Eva Braun auf der Bühne, in der Schaubühne wurden Hitlers Tischgespräche gelesen. Die Kunst scheint aufklären zu wollen, hat aber Angst vor der eigenen Courage ■ Von Petra Kohse
Im Anfang war das Ding. Ein Lippenstift. Hühneraugenpflaster, die Zeitschrift Der Deutsche Pudel (1 Mark). Oder auch Gebirgskräutertee, ein Blutstillstift und ein Hakenkreuzfeuerzeug. Was Frau oder Mann auf dem Obersalzberg eben so mit sich führte – das Berliner Ensemble hat es in zwei Vitrinen rechts und links im Kassenfoyer zusammengetragen. Zwei Eintrittskarten vom 14. März 1944 für das Theater am Schiffbauerdamm (Reihe 2, Platz 8 und 9) und ein Hitlerfoto sind auch dabei. Es geht um die bessere Gesellschaft, es geht um Geschichte, und es geht zur Sache. Gleich wird die Schauspielerin Eva Braun, verheiratete Hitler, das Wort ergreifen, und sie wird es 90 Minuten lang behalten.
Eine „Ikone“ nennt der Regisseur und stellvertretende Intendant Stephan Suschke die Frau, die 16 Jahre lang Hitlers Geliebte war und erst am Tag vor dem gemeinsamen Selbstmord seine Gattin wurde. Eine „Ikone“, deren rein menschliche Geschichte, deren Alltag er erzählen will, wozu ihm der „Tatort“-Autor Stefan Kolditz einen entsprechenden Monolog geschrieben hat. Eva in den Stunden zwischen Hochzeit und Tod. Und dabei genügt es nicht, Frau Hitler einmal in Ruhe auf einer Bühne zu betrachten, man soll sie auch gleich verstehen. So von Puderdose zu Puderdose, von Lebenstraum zu Lebenstraum, von Mensch zu Mensch.
Weswegen man auch nicht lachen darf, weil sie sich 16 Jahre lang verleugnen ließ und nur auf dem Obersalzberg geduldet wurde. Weswegen man sie auch nicht verurteilen darf, wenn sie sagt: „Ich wasch' mich nicht mit Leichen, hab' ich dem Chef gesagt. Das hat er mir versprochen, daß er aus den Juden keine Seife macht. Wegen dem Hautkrebs.“ Denn schließlich hat sie ja gar nicht verstanden, „was er gegen die Juden hat“. Was sie verstanden hat, ist nur: „Dem größten Kämpfer gebührt die schönste Frau.“
Corinna Harfouch, die hier die Eva spielt, schwimmt mal mit fahrigen Bewegungen durch das mit Schuhen übersäte Bunkerdreieck von Jurij Mirtschin, und ihre Stimme hallt, dann saugt sie an einer Zigarette und stopft einen ganzen Kuchen in sich hinein. Sie schubbert sich zu Vergewaltigungsphantasien mit einem Pelzumhang am Rücken, steigert sich in Aggressionen gegen den Geliebten und sein Ideal vom arischen Mann („Schlank wie Göring, blond wie Goebbels und so groß wie du?“), sie kippt eine Flasche Rotwein, sieht danach unter ihrer Blondwelle aus wie Gisela Schlüter (die Ältere), hebt die Arme und singt mit Zarah vom Wunder.
Eva, das Dummchen, Eva, die Einsame, die verzweifelt Liebende, Eva, eine deutsche Frau. Auch wenn sie zwischen einem Dutzend teurer Kleider wühlt und sich auf einen Tod in Schönheit vorbereitet, während draußen, außerhalb des Führerbunkers, Flüchtlingsströme in Panik gen Westen ziehen, bleibt sie Täterin und Opfer zugleich, will sagen: ein Allgemeinplatz.
Hätte man das Thema chiffrenhaft statt menschelnd aufgefaßt, wäre vielleicht Ikonenpop daraus geworden, so aber geht es selbstverschuldet auf Seelenfahrt, La Harfouch kann's nicht ändern. Wer aber sind wir, daß uns die Entsagungen ausgerechnet der Eva Braun auch nur entfernt ans Herz gehen sollten?
Schwere Schritte auf der Unterbühne
In die Historie und die schiere Dinglichkeit stürzt man sich derzeit auch in der Schaubühne. Der Fotograf und Schauspieler Stefan Hunstein präsentiert im Foyer großformatige Verfremdungen von Fotografien, die im August 1939 auf dem Obersalzberg aufgenommen wurden, und liest an drei Abenden „Texte über die strategische Planung und Durchführung des Holocaust“.
Es begann am vergangenen Dienstag mit Protokollen von Hitlers Tischgesprächen: „Der Chef sprach sich beim Tee in folgenden Gedankengängen aus.“ Nur wenige Zuhörer hatten sich vor dem Ledersessel mit Stehlampe auf der Bühne eingefunden, und kein einziger erhob am Ende seine Hand zum Applaus. Was aber nicht daran lag, daß Hunstein nicht gut gelesen hätte, man sich über die protokollierten O-Töne oder die schwer rasselnden Schritte eines auf der Unterbühne nicht sicht-, aber hörbar flanierenden Wachmanns erschrocken hätte. Es lag wohl eher daran, daß Hunstein die Bühne gleich nach dem letzten Wort fluchtartig verlassen hatte. Gerade so als fürchtete er, jemand könnte nicht ihm, sondern dem Text applaudieren.
Dabei klingen Hitlers kernige Sätze zu Kultur und Frühgeschichte, zu Wissenschaft und Religion, Frauen und Hunden, Ernährung und Rassenlehre heutzutage zwar stellenweise durchaus wie Kabarett („Eine Kröte ist ein entarteter Frosch. Wer weiß, was die Kröte frißt? Die frißt sicher etwas, was ihr nicht bekömmlich ist.“), aber wenn man lacht, dann gerade weil es keines ist und man um Krieg und Genozid weiß.
Was Hunstein will und vielleicht sogar Kolditz und Suschke wollen, ist Entmythologisierung und Aufklärung. Der Abstumpfung durch Schwaden von Sekundärliteratur wollen sie Originale entgegensetzen. Der Möglichkeit aber, daß diese sich, zumal in eindeutigen künstlerischen Kontexten, heutzutage selbst entlarven, vertrauen sie dann doch nicht ganz. Und so verschwiemeln die einen ihr historisches Sujet auf ärgerliche Weise ins Allgemeine, der andere verordnet Betroffenheit.
In seinen Fotoarbeiten ist Hunstein da schon weiter. Die Konturen der Originalmotive verschwimmen durch Vergrößerung und Farbzusätze, auf einem Bild wuchert etwa ein blaugrünes Außen an eine Hitler-Silhouette heran wie Blattwerk an vergessenen Mauern, und bei einem Blick in die Weite vom Balkon aus muß jeder selbst entscheiden, wo die Grenze zwischen dem Gewachsenen und dem Gemauerten liegt.
„EVA. Hitlers Geliebte“ von Stefan Kolditz. Regie: Stephan Suschke. Mit Corinna Harfouch. Berliner Ensemble
„Bitte, die Herrschaften zum Gas“. Letzte Lesung von Stefan Hunstein, heute um 21 Uhr. Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen