: "Winklige Gassen mit Urbanität verwechselt"
■ "Frontalen Widerstand" gegen den kürzlich vorgelegten "Masterplan" für die Innenstadt kündigt Bau- und Verkehrssenator Jürgen Klemann (CDU) an: Der Rückbau breiter Straßen ist für ihn falsch. "A
taz: Ist der von Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) jetzt vorgelegte Masterplan eine Antwort auf die städtebaulichen Probleme Berlins?
Jürgen Klemann: Der Plan ist aus meiner Sicht überwiegend entbehrlich. Die städtebaulichen Probleme sind auch andere, als im Planwerk beschrieben. So müssen wir uns vorrangig der aktuellen Planung widmen.
...und auf lange Sicht?
Ein Bild der Stadt für die nächsten dreißig, vierzig Jahre zu entwerfen ist vielleicht Aufgabe einer Stadtentwicklungsverwaltung. Es kann aber nicht sein, hieraus einen Anspruch auf eine kurzfristige, konkrete Umsetzung abzuleiten.
Sie meinen, Herr Strieder maßt sich die Rolle des Bausenators an?
Nein, das kann er gar nicht, denn für die konkrete Umsetzung bin ich zuständig. Unverständlich ist aber, daß Herr Strieder seinem Staatssekretär Stimmann in so extremer Weise freie Hand ließ. Es gibt ohnehin ein paar bemerkenswerte Kunstfehler. So wurde mir beispielweise bis heute der „Masterplan“ nicht offiziell vorgelegt. Auch die Fachleute meines Hauses können deshalb keine fachliche Stellungnahme abgeben.
...und jetzt sind Sie sauer?
Ach was. Ich meine nur, daß dieses Vorgehen ungehörig ist. So sollte man im Senat nicht miteinander umgehen. Wenn ich schon nicht vorab unterrichtet und beteiligt werde, erwarte ich zumindest, daß ich die Materialien in dem Moment bekomme, wo die Dinge öffentlich diskutiert werden.
Das schafft natürlich keine besonders günstigen Voraussetzungen für eine weitere Kooperation, auf die Herr Strieder im Bau- und Verkehrsbereich angewiesen ist. Aber mit Kunstfehlern meine ich eigentlich etwas anderes: Nämlich die bemerkenswerte Überheblichkeit bei der Planung selbst. Er hat völlig verkannt, welche Empfindungen und Sensibilitäten gerade im Ostteil der Stadt ausgelöst werden, wenn man Planern, Architekten und Bürgern in dieser Weise mit einem solchen Plan zu nahe tritt. Damit macht man einen solchen Plan zum Schubladenprojekt. Grundsätzlich dürfen wir die Menschen angesichts der vielen Veränderungen nicht überfordern. Ich halte es deshalb nicht für richtig und sehe auch keine Notwendigkeit, erneut dramatische Veränderungen in gewachsenen Strukturen erzwingen zu wollen, selbst wenn man nicht alles für besonders geglückt erachtet.
Wie bringen Sie sich in dieses Verfahren ein?
Ich sehe an vielen Ecken dringenden Entscheidungsbedarf. Da halte ich es für einen Fehler, in andere Planungen zu entschwinden, anstatt das Notwendige zu entscheiden. Was wir an Planungskapazität haben, brauchen wir, um Bebauungspläne beispielweise für den zentralen Bereich fertigzustellen. Der Regierungsumzug hat absolute Priorität. Wir haben so viele Aufgaben, daß wir uns mit einem solchen Masterplan, der zu einem großen Teil nicht meiner Philosophie entspricht, nicht vorrangig beschäftigen. Herr Strieder hat offenbar zuviel Planungskapazität und Geld übrig.
Aber Sie müßten doch ...
...Nein, ich muß gar nicht. Ich werde doch nicht ernstlich Voraussetzungen dafür schaffen, daß wir in Zeiten, wo wir jede Mark dreimal umdrehen müssen, Geld für einen aufwendigen Straßenrückbau ausgeben. Das kommt mit mir nicht in Frage. Der Kern des Plans soll der Rückbau sehr breiter Straßen sein, heißt es bei Strieders Planer Hoffmann-Axthelm. Damit versucht man, Pläne aus rot-grünen Zeiten umzusetzen.
Da sind doch Dinge dabei, die Sie ansprechend finden müssten.
Klar, ich verwerfe auch nicht alles. Wenn man sich an alten Stadtgrundrissen orientiert, klingt das für mich zunächst einmal sehr sympathisch. Wenn das aber heißt, durch rigide Verkehrsverdrängung Urbanität schaffen zu wollen, lehne ich das ab. Wer sich nach winkligen Gassen zurücksehnt und das mit Urbanität verwechselt, soll nach Lübeck zurückgehen. Große Metropolen zeichnen sich nun mal durch großzügige Boulevards und Magistralen aus. Daß gegenwärtig die Leipziger Straße noch nicht den Boulevardcharakter hat, den wir uns wünschen, ist keine Frage. Aber die Konsequenz daraus kann nicht sein, daß wir zusätzliche Quader in den Straßenraum setzen.
Die Verschmälerung der Leipziger Straße geht auf den vormaligen Stadtentwicklungssenator Hassemer (CDU) zurück.
Das hat der Kollege Hassemer damals wohl für richtig gehalten.
Der Grundgedanke bei Hassemer war, die Leipziger Straße zu verengen, damit der achteckige Leipziger Platz besser zur Geltung kommt. Deshalb wurde an der Leipziger Ecke Friedrichstraße die Straßenfläche bebaut.
Das war aus meiner Sicht eine Fehlentscheidung. Ich habe mich damals im Senat vehement dagegen gewehrt. Die Konsequenz kann nun aber nicht sein, daß man durchgängig bis zum Alexanderplatz bei der geringeren Straßenbreite bleibt, in Höhe Stadthaus den Tunnel zuschüttet und die Straße in ihrer Linienführung abknickt. Sicherlich gibt es in diesem Gebiet unwirtliche Stellen. Aber es geht doch darum, wie ich eine solche Magistrale insgesamt verbessere. So sollte es auch ein Ziel sein, in die Neubaugebiete mit ihrer unwirtlichen Quartierssituation ein wenig mehr Urbanität hineinzuzaubern. Aber das geht nicht durch einen solch rigiden Rückbau von Straßen. Vor allem: Wenn man zwischen Alexanderplatz und Potsdamer Platz eine direkte Straßenbahnverbindung haben will, dann setzt das eine Leipziger Straße in der gegenwärtigen Breite voraus. Ansonsten brauchen wir einen teuren Straßenbahntunnel.
Der bündnisgrüne Verkehrsexperte Cramer will die Leipziger Straße schmaler machen und der Straßenbahn Vorrang geben.
Das glaube ich gern.
Der Senat hat doch den Modalsplit vereinbart: achtzig Prozent öffentlicher Verkehr, zwanzig Prozent Individualverkehr.
Sicher. Wenn es uns gelingt, künftig allen zusätzlichen Verkehr auf den ÖPNV zu verlagern, dann haben wir automatisch dieses Verhältnis. Alle Prognosen gehen jedoch davon aus, daß sich der Individual- und Wirtschaftsverkehr angesichts der jetzt noch vergleichsweise geringen Motorisierung in der Stadt bis zum Jahre 2010 verdoppeln wird. Wenn Sie dann nicht im Stau ersticken wollen, bleibt uns gar nichts anderes übrig, als entsprechende Strategien für den Wirtschaftsverkehr und auch in gewissem Umfang für die Verkehrslenkung zu entwicklen – ein gutes Beispiel dafür ist die Parkraumbewirtschaftung. Ich bin aber auch davon überzeugt, daß dies ein Prozeß ist, der wachsen muß. Die Einsicht der Menschen, daß man nicht überall mit dem Auto hinfahren muß, nimmt zu. Sonst stehen wir irgendwann nur noch im Stau. In dem Moment, wo wir durch rigide Maßnahmen von oben die Innenstadt für den Autoverkehr nicht mehr vernünftig erreichbar machen, gehen die Menschen auf die Barrikaden. Oder sie vermeiden den Besuch der City und weichen zum Einkaufen auf die grüne Wiese aus.
Den Gedanken der Verkehrseinschränkung befürworten Sie, aber Hoffmann-Axthelm geht falsch vor?
Er geht zuweit, wesentlich zuweit. Er glaubt, daß Urbanität einer Stadt nur entsteht, wenn die Innenstädte weitestgehend vom Verkehr frei bleiben. Aber wir leben nicht mehr in der Zeit der Pferdekutschen. So wie unsere Stadt aber nun einmal gebaut ist, schaffen wir es nicht, jeden Verkehr außen herum zu lenken – was vielleicht ideal wäre. Soweit Durchgangsverkehr vermieden werden kann, sollten wir dies auch anstreben. Dazu fehlen allerdings noch einige Tangenten. Sie werden deshalb beispielsweise die Leipziger Straße immer als eine Hauptverbindung brauchen. Strieders Plan sieht in der Dichte die Voraussetzung für Urbanität. So soll möglichst überhaupt nicht mehr im Außenbereich gebaut, sondern sich auf die Innenstadt konzentriert werden...
...was eine gute Idee ist...
...was nicht falsch ist. Sinnvoll ist es, Baulücken zu schließen und nicht auf der grünen Wiese zu bauen. Das ist insbesondere durch öffentliche Mittel kaum noch möglich. Auch gibt es weiterhin viele Menschen, die lieber aus ihrer Wohnung ins Grüne schauen, als hinter Schallschutzfenstern zu leben. Ich kann auf dem Reißbrett Baublöcke wie aus dem Legokasten in die vorhandenen Lücken der Stadt verteilen. Aber das ist genauso realitätsfremd, wie den Menschen einzureden, sie hätten kein Mobilitätsbedürfnis. Zu behaupten, daß breite Straßen mit einem grünen Mittelstreifen die Stadt zerstören, ist eine unglaubliche Überheblichkeit.
Kommt der Plan, eine Straße vom Ernst-Reuter-Platz quer über den TU-Campus zum Zoo zu legen, dem Verkehrssenator nicht entgegen?
Nein. Ich habe das Gefühl, daß auch diese Vorstellung – ähnlich wie die Idee, die Landsberger Allee durch das Wohngebiet zu schlagen – am grünen Tisch entstanden ist und in der Realität keinen Sinn ergibt. Ebenso unsensibel geht der Masterplan mit der Fischerinsel um, wo kleine Häuschen direkt neben den Hochhäusern entstehen sollen. Das entspricht zwar der historischen Situation, aber die gewinnen wir so nicht wieder zurück.
Ich kann mich auch nicht mit der baulichen „Gefangennahme“ der Marienkirche oder dem „Zukleistern“ des Freibereichs zwischen Alexanderplatz und Schloßplatz anfreunden. Die Ödnis verlangt andere Antworten. Als zynisch empfinde ich, daß sich Stimmann auf den politischen Auftrag aus der Koalitionsvereinbarung beruft, wo es heißt, daß Berlins historische Mitte durch Erhalt und Ergänzung bewahrt und ein Gesamtkonzept entwickelt werden müsse, das sich am historischen Erscheinungsbild orientiert. So ist das nicht gemeint. Stadt kann doch nicht ausschließlich aus dieser rückwärtsgerichteten Perspektive betrachtet werden.
Finden Sie im Plan überhaupt einen bestechenden Gedanken?
Leider haben die Autoren mit ihrer Vorgehensweise alles getan, damit ihr Entwurf nicht realisiert wird. Das war ein völlig falscher Weg. Da ist frontaler Widerstand programmiert.
Interview: Rolf Lautenschläger
und Gerd Nowakowski
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