: Ja-Sager und Krista Sager
GAL auf Wahl-Kurs: Die Stärke der Realos ist die Schwäche der Linken ■ Von Silke Mertins
Mit kreisenden Bewegungen streicht Jo Müller, Herausgeber des Realo-Zentralorgans Hamburger Rundschau, seiner Frau Christine über den Rücken. Siegessichere Zufriedenheit entspannt seine Gesichtszüge: Die Schlacht dürfte gewonnen sein, denn der Schein trügt. Der Saal der Ottenser Werkstatt 3, in dem die GAL am Mittwoch abend ihre Mitgliederversammlung fortsetzte, sieht zwar aus wie eine abgetakelte Schulaula, erinnert aber nur atmosphärisch an vergangene Bewegungszeiten.
Heute ist alles anders. Verwundert reiben sich viele Alt-GALier, die sich auf den Podeststufen in der Saalecke herumlümmeln, die Augen, als der Jung-Grüne Martin Hagen das Wort ergreift. Es gebe im Wahlkampf viele Strategien zu berücksichtigen: Wählerstrategie, Gesellschaftsstrategie, Themenstrategie und so weiter. Nein, das ist kein ungeübter Gastredner der Jungen Liberalen oder der Praktikant einer PR-Firma. „Aufhör'n mit dem Scheiß“, zwischenrufen die Traditions-GALier noch. Doch zu spät. Hagen, der strategisch-dynamische Vertreter einer neuen GAL-Generation, wurde Mitglied der sechsköpfigen Wahlkampfkommission für die Bürgerschaftswahlen in zehn Monaten.
Die Bewegungsgrünen und Links-Geflügelten ließen sich aber noch ganz andere Dinge bieten. „Wir brauchen keine Gesinnungspapiere“, disqualifizierte die desig-nierte Spitzenkandidatin Krista Sager Konkurrenz-Vorschläge zum Realo-Konzept als mißglückte Politikversuche. Handlungsansätze seien gefragt: „Das sage ich als Hausaufgabenhinweis.“ Sich schon jetzt auf Unbeweglichkeit bei Themen wie Altenwerder festzulegen, „ist keine Politik“.
Der Durchmarsch der Realos auf der Mitgliederversammlung war gut vorbereitet. Fraktions-Chef Willfried Maier hatte bereits vor Wochen mit seinem Wahlkampfstrategie-Papier vorgefühlt, wie das Widerstandspotential aussieht. Sagers Co-Sprecherin Antje Radcke mäkelte ein bißchen, Fraktionsgeschäftsführer Alexander Porschke wurschtelte mit eigenen Papierchen, und der zur ZAS (Zwischen allen Stühlen) gehörende Abgeordnete Norbert Hackbusch drohte mit einem Gegenkonzept zur „SPD-Kompatibliltät“.
Seitdem steht realpolitische Läuterung auf dem Lehrplan. „Ich hab mir mal den GAL-Reader zu den Koalitionsverhandlungen von 1993 angesehen“, gesteht Antje Radcke. Und eigentlich habe sich die GAL doch ganz ordentlich verhalten. Radcke sieht das jetzt alles richtig realistisch.
Unter den Rednern, die Krista Sagers Eröffnungsrede unterstützend flankierten, war auch Porschke. Gehört der nicht eigentlich zu uns Linken?, raunte es im Publikum. „Na, ist hier jemand postengeil oder scharf auf Rotgrün um jeden Preis?“, versuchte sich der Hafen-Freak mit einem humorigen Einstieg. „Ich glaube auch, daß Veränderung mit Opposition beginnt“, aber „das war vor 15 Jahren“. Jetzt heiße es, „positive Zielformulierungen“ zu finden, die „kompromißfähig sind“. Realo-Kritiker Norbert Hackbusch habe mit seiner Forderung nach einem „lustvollen“ Wahlkampf die Meßlatte sehr hochgelegt. Und laufe jetzt selber unten durch. Gemeine Worte, aber nicht nur.
„Grüne Schleimscheißerei“ und „Postengeilheit“ nennt Hackbusch die Verhältnisse in Schleswig-Holstein und in NRW. Und wird richtig wütend. Daß Regieren über Opponieren geht, könne doch nicht alles gewesen sein. Die gescheiterte Bettlersatzung in Hamburg zeige doch, „daß oppositionelle Politik in wichtigen Punkten erfolgreicher sein kann als Rotgrün“. In Frankfurt gebe es nämlich Anti-Randständigen-Gesetze.
Fraktionskollegin Susanne Uhl stimmt ein: „Wir haben doch schon eine Schere im Kopf, nur um nicht als wirtschaftsfeindlich dazustehen.“ Sie habe etwas „wenig zu dem gehört, was wir entgegenstellen wollen“. Betonung auf „gehört“. Denn die Linke übt sich in Kritik statt in Konzept. Trotz Mühe ist es nicht gelungen, die eigenen Kräfte zu sammeln, die Widerworte zu einem linken Standpunkt zu bündeln. Das kann man nicht Krista Sager & friends vorwerfen. Die Stärke der Realos ist die Schwäche der Linken.
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