■ Nachschlag: Fünfziger Jahre total: Entsprechende Schlager im Freien Schauspiel ...
Adventszeit – Anekdotenzeit. Im Jahre 1943 hatte die amerikanische Millionärin und begeisterte Amateursopranistin Florence Foster Jenkins einen Autounfall. Statt das schuldige Taxiunternehmen zu verklagen, schickte sie dem Fahrer eine Kiste Zigarren. Denn seither, meinte sie, könne sie „ein höheres F als je zuvor“ singen. So berühmt-berüchtigt wie Mrs. Jenkins werden Petra Zeigler und Jean-Theo Jost wohl nie werden. Trotzdem können sie kein bißchen besser singen. Für ihr erstes Musikprogramm, „Tanze niemals einen Tango mit 'nem Eskimo“, haben die beiden Off-Schauspieler 19 deutsche Schlager der fünfziger Jahre ausgegraben. In den Texten vermählt sich süßer Schwachsinn mit betulicher Erotik. „Blue Jean Boy und Blue Jean Baby gehen heute aus“, heißt es da zum Beispiel, Italia reimt sich auf bella musica, Häuptlingstochter Minnehaha ist die Schönste, und sogar Afrika wird zum Ziel nostalgischen Fernwehs: „Wo die kleinen Negerlein noch tanzen Ringelreihn“.
Das alles hätte so schön werden können. Aber statt den blühenden Blödsinn still auszukosten, übertreiben die Sänger maßlos. Petra Zeigler grölt ihre Partien trotz massiver Intonationsprobleme hemmungslos und viel zu laut heraus und fummelt dabei hektisch an ihrem Petticoat. Jean-Theo Jost ist in seinen Solopartien am besten, etwa bei dem schönen Lied „Wenn ich groß bin, liebe Mutter, und ich nehme eine Frau, dann nehme ich nur eine, die so ist wie du genau“. Daß er diskreter auftritt als seine Kollegin, kann allerdings nicht darüber hinwegtrösten, daß es mit seiner Stimme auch nicht weit her ist. Beide Sänger fühlen sich nur in einer schmalen Mittellage wohl, höhere oder tiefere Töne sind Glückssache, ebenso die Choreographie. All diese Mängel werden durch den Pianisten Lothar Alexander Runze in schier unglaublicher Weise potenziert. Grausam malträtiert er das Pedal und haut mit Wucht und keineswegs treffsicher auf die Tasten. Ab und zu krächzt auch Runze ein Lied, und dann fühlt man sich plötzlich wie bei einer Familienfeier, wenn Onkel Herbert zuviel getrunken hat und ans Klavier drängt. Zum Glück hat absoluter Trash auch seine Reize. Fröhlich verfolgen die Zuhörer, wie die Sänger sich zum Abschluß ein Gefecht mit „White Christmas“ liefern und trotz der vielen schweren Halbtonschritte irgendwie durchkommen. Schön war es nicht. Aber laut. Florence Foster Jenkins hätte es gemocht. Miriam Hoffmeyer
Noch heute, 22.45 Uhr, Freies Schauspiel, Pflügerstraße 3
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