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Rot-gelbe Klebekäfer im Doppelpack für 2 Pfund 95

■ Der Weihnachtseinkauf kann zu den schönsten Erlebnissen des Jahres zählen – man muß es nur wollen: Plädoyer für einen Kaufrausch in der Londoner Innenstadt

Viele Menschen wollen in der Vorweihnachtszeit auch einmal an die Benachteiligten denken und sich selbst eine Freude machen. „Einkaufen in der Vorweihnachtszeit in der Innenstadt“ klingt ihnen jedoch nicht wie süße Glocken, sondern wie „Gewaltmarsch“ in den Ohren, wie „Bundesbahnfahrkartenschalter“ oder „in der ersten Reihe bei den Backstreet Boys“. Ich aber sage: Fürchtet Euch nicht! Der Weihnachtseinkauf kann zu den schönsten Erlebnissen des Jahres zählen. Man muß es nur wollen.

Ich will. Ich will Geld ausgeben, ich will beladen mit Tüten und Taschen verschiedenen Formats zurückkehren, ich will mich hingeben. Hinein in die U-Bahn, hinein in das Gewühl am Piccadilly Circus! Von hier an darf es keine individuellen Entscheidungen mehr geben. Der Weihnachtseinkauf wird von der Masse gesteuert, deren Schritt man sich anpaßt, deren Richtung man folgt. Ich lasse mich treiben, gerate in ein Geschäft mit Wollwaren. Ah! Mützen! Cardigans! Inmitten der Weihnachtseinkäufer umspüle ich einen Tisch mit Sonderangeboten, befühle Handschuhe und etwas zu kratzige Schals.

Wir rollen weiter, hinaus, die Straße hinauf. Jetzt ein Schuhgeschäft. Ein schönes, ein riesiges Schuhgeschäft mit Pumps, Stiefeln und herrlichen Stilettos, die leider nicht mehr in meiner Größe zu haben sind. Das macht nichts, denn neben dem Schuhgeschäft lockt ein Schaufenster mit gewagter Tages- und Abendgarderobe für die Dame.

Im Laden halten sich zirka eintausend Frauen je zwanzig Weihnachtspartykleider an, und zirka eintausend Freundinnen schnattern beratende Worte. Die Roben sind ausnahmslos lang, manche haben sogar Puffärmel. Aber ein Haus weiter bietet das Sortiment mehr. Hier hängen auch die hübschen kurzen Kleidchen auf den Bügeln, in denen ich allerdings aussehe, als hätte ich sie von meiner kleinen Schwester geliehen. Und das, obwohl ich gar keine kleine Schwester habe.

Am Ausgang werde ich über die Straße und in ein Einrichtungshaus geweht, dessen Preise mein Budget übersteigen, und dann verschluckt mich plötzlich ein Spielzeuggeschäft. Flankiert von zielstrebigen Sechsjährigen taumele ich Stockwerk für Stockwerk durch die Abteilungen, bis ich sie sehe: die Klebekäfer.

Klebekäfer, die man an die Wand oder besser noch an eine Fensterscheibe werfen kann und die sich dann, weil sie an ihren langen Beinen weiche, klebrige Nupsis haben, Schritt für Schritt abseilen. Ein großartiger, ein erhabener Anblick. Die Klebekäfer sind in Rot und Gelb und im Doppelpack zu haben, für 2 Pfund 95.

Zum Weihnachtseinkaufsende trägt man so sehr viele kleine Tüten nach Hause, lächelt glücklich, und wenn die U-Bahn nicht so voll wäre, könnte man schon einmal mit einem der Klebekäfer spielen. Carola Rönneburg, London

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