Wie ein in der Kälte erstarrter Ministrant

Grauenhafte Sportarten, mit denen uns das Fernsehen plagt (XVII): Curling, ein Wettfegen mit Bettflasche  ■ Von Albert Hefele

Die Allgäuer sind ein seltsames Volk. Nicht nur, daß sich immer noch viele von ihnen in graue Lodenjoppen hüllen und ohne Not große, spitzige Hüte tragen, sie pflegen auch ein röchelndes Idiom, das für Menschen, die nicht aus der Region stammen, so wenig verständlich ist wie ein Suaheli-Dialekt. In Restdeutschland werden sie deswegen manchmal für Norweger gehalten, und ihre Filme müssen synchronisiert werden („Daheim sterben d' Leut'“). Vielleicht reden sie deswegen nicht viel und staken lieber breitbeinig durchs Bergland, wo sie dann stumm an einer krummen Zigarre ziehen (Krummer Hund).

Stur sind sie außerdem. Im Winter, wenn es so kalt ist, daß die Bäume knacken und den Hunden die Schwänze abfallen, bleiben sie nicht am Ofen sitzen, sondern sammeln sich an zugefrorenen Weihern und schubsen ein pilzförmiges Sportgerät vor sich her. Den Eisstock. Beim Eisstockschießen. Sollen sie doch! Sollen ihnen doch die spitzigen Hüte am Schädel gefrieren und die eisstarren Bundhosen bizarre Falten ums Knie werfen! Right or wrong – my breeches! Lodenjoppe bis oben zu und durch!

Einen Vorwurf kann man den Allgäuern bei aller Toleranz trotzdem nicht ersparen. Dank ihres fragwürdigen Freizeitvergnügens haben sie einer steinzähen Sportart aus dem kargen Schottland den Boden bereitet, die nun winters den Kasten blockiert: dem Curling: eine sehr eisstocknahe Übung, von der man allerdings nicht weiß, wie sie von Schottland nach Bayern geraten ist.

Haben Schott' und Bayer vielleicht irgend etwas gemeinsam? Die einen blasen den Dudelsack, die anderen hauen sich auf die Sohlen... Einerseits Karo, andererseits Loden. Haben die dort oben überhaupt Schnee? Gar zugefrorene Seen?

Verzweifelt kramt man in seinem Schottlandwissen. Lowlands, Midlands, Highlands. Loch Ness, der Ben Nevis, ein kümmerlicher Huckel mit 1.342 Meter Höhe. Natürlich, der Meeresspiegel ist nicht weit. Pikten und Skoten. Macbeth, Malcolm, Macduff. Das Haus Stuart, die Königsgewalt blieb neben dem Adel schwach. Celtic Glasgow, die Rangers. Keine Rede von Curling.

Was soll das überhaupt heißen? Irgendwas mit Locken? Nein, nichts mit Locken. Obwohl sich einem schon die Haare einrollen können. Nicht etwa vor Erregung; brodelndes excitement ist es nicht, das uns die Curler zu bieten haben. Es ist eher eine Art von schlaffer Mattigkeit, die uns ergreift, sehen wir dem müden Treiben zu. Immer noch Dunkelheit vor dem geistigen Auge?

Ein Tip: Es ist kalt, es ist glatt. Sieben Zuseher. Auf das Eis sind Ringe gemalt. Zwei Hausfrauen kommen angerutscht, mit jeweils einem kurzen Besen bewaffnet. Sie tun nichts, schieben sich hin und wieder mit einem Bein übers Eis. Ein Gleitbein, ein Schiebebein. Irgendwann schliddert jemand hinzu. Dabei ist „Schliddern“ das falsche Wort, weil zu unkontrolliert, zu kreiselnd. Der oder die Hinzukommende segelt vielmehr sachte ins Bild. Kniend, wie ein in der Kälte erstarrter Ministrant, einen riesigen Weihrauchkessel vor sich herschiebend. Der natürlich kein Weihrauchkessel ist, nicht einmal im entferntesten so aussieht. Es ist ein Granitstein mit Griff, eine überdimensionierte, mausgraue Bettflasche. Sachte angeschoben von einem unterwürfig ihr huldigenden Mitglied einer vermutlich völlig pervertierten Sekte. Erst kniend, dann fast auf dem Bauch liegend, mit dem Kinn über den kühlen Grund schrammend.

Fasziniert beobachten die Hausfrauen den steifen Schieber, der die Bettflasche plötzlich behutsam freigibt. Sie aber nicht aus den Augen verliert. Niemals! Auch die mit dem Besen sind, so scheint es, gefangen von der kultischen Handlung. Sie nehmen Fahrt auf: Schiebebein, Gleitbein. Immer neben der Bettflasche. Dann zücken sie – wie auf ein unhörbares Kommando – die Besen und beginnen ekstatisch das Eis zu fegen, wie von einem zwanghaften Hausmeister gehetzt. Zwei Eigenheimbesitzer in Stuttgart-Echterdingen: „Am Samschdaagnachmiddaag muuß die Schdraase bliddssblangg sei'!“ Frisch gefegt ist halb gewonnen. Je flotter die Besen, desto schneller ist der Curlingstein daheim. Im „House“. Inmitten der aufs Eis gemalten Kreise. Wo ihn schon andere mausgraue Kameraden in geselliger Runde erwarten.

Nun sollte man meinen, der Neue würde, wie es sich gehört, gesittet dazurutschen: „N' Abend. Wo darf ich? Ist noch was frei?“ Tut er aber nicht, sondern gibt an wie Bolle. Rempelt diesen an und schubst jenen zur Seite: Platz da! Nun ja, was will man von einem Granitstein schon erwarten?

Womit wir dann doch bei den Gemeinsamkeiten, Allgäuer und Schotten betreffend, angelangt wären: ungehobelte Rüpel allesamt.

Die taz-Serie von Albert Hefele gibt es auch im Buchhandel: „Grauenhafte Sportarten“. Mit Illustrationen von Heribert Lenz und Achim Greser. Edition Tiamat, 128 Seiten, 24 DM