: Durchbrennen mit Marcellino
Marcello Mastroianni, der Mann, der die Frauen fürchtete, ist gestorben ■ Von Werner Raith und Mariam Niroumand
Er hätte so gerne einmal den Oblomow gespielt!?! Man las es, damals während der Dreharbeiten zu Nikita Michalkows „Schwarze Augen“, und war verblüfft. Er war doch der Oblomow! In eigentlich allen Filmen mit Marcello Mastroianni gab es doch dieses gewisse Trägheitsmoment, das sich im Alter zu immer exponierterer Todesnähe auswuchs. Es ist oft mit Melancholie verwechselt worden, in Amerika nannten sie es „suave“. Es scheint glasklar aus der Beschreibung hervor, die Federico Fellini von ihrer Arbeitsbeziehung gab, anläßlich von „8 1/2“ (1963), ihrem brillantesten gemeinsamen Projekt: „Es ist nicht wahr, wenn die Leute behaupten, Marcello Mastroianni sei ich, mein Filmdouble, mein Alter ego... Ich setze ihm meinen Hut auf, ich versuche, ihn mir ähnlich zu machen, weil es für mich der unmittelbarste Weg ist, eine Gestalt und eine Geschichte zu sehen. Es ist ein sehr heikles Unterfangen, das sich nur auf Basis einer tiefen Freundschaft und eines schamlosen Willens zur Darstellung verwirklichen läßt.“
Ihm einen Hut aufsetzen, ihn auf den richtigen Weg schaffen, ihn verführen – Frauen und Männern stellt er sich als Spielball ihrer Launen anheim. Nie wurde diese Figur augenfälliger als in den Proportionen von „La dolce vita“ (1960), wo Mastroianni als winziger, ermüdeter, ausgepowerter Journalist zwischen den Brüsten der enormen Anita Ekberg verschwindet. Mit dieser seiner Privatontologie, dieser „Geworfenheit“, hat er oft und gern kokettiert. Auf die Frage eines amerikanischen Journalisten, welche Qualitäten er an einer Frau schätze, hatte er letztes Jahr geantwortet: „Ich bin zu alt, um über diese Dinge zu sprechen. Sie in Amerika haben immer diese schreckliche Vorstellung, mir diesen Stempel vom Latin Lover zu verpassen. Das ist absolut verrückt, denn wenn Sie sich meine Filme einmal wirklich ansehen, werden Sie feststellen: Ich war immer das Opfer von Sophia Loren, ich war impotent, ich war homosexuell, ich war schwanger.“
Er war ein Bauernsohn, 1924 in Fontana Liri im südlichen Lazium geboren. Viel Aufregung hatte sein Leben nicht geboten, bis er im Zweiten Weltkrieg aus einem deutschen Arbeitslager geflohen war und geduldig und vorsichtig in einem Versteck ausgeharrt hatte. Nach dem Krieg studierte er auf Nummer Sicher – Volkswirtschaft – in Rom, belegte aber gleichzeitig auch Kurse am Theater der Universität. Luchino Visconti, der in jener Zeit dabei war, das amerikanische Theater für Italien zu entdecken, beschäftigte ihn in Tennessee-Williams- oder Arthur-Miller-Produktionen, aber man wurde erst auf ihn aufmerksam, als er den schüchternen Angestellten in Viscontis „Weiße Nächte“ spielte, dessen vorsichtige Liebe nicht erwidert wird (schon damals war klar: an einer Erwiderung wäre diese zarte Liebe auch sofort eingegangen).
Der Riesenerfolg mit Fellinis „La dolce vita“ machte ihn quasi zu dessen Schatten. Sein Leben lang suchte Fellini herauszufinden, wie sehr seine Frau Giulietta Masina in den notorischen Dandy Marcello verliebt gewesen war, im Alter peinigte sich Federico selbst noch ausdrücklich mit seinem Film „Ginger e Fred“ (1986), in dem er die beiden, nun als ausrangierte Oldies, zusammenspannte und Mastroianni gar so kostümierte, daß man nun wirklich Fellini selbst in der Rolle vermuten konnte.
Der Erfolg des Films war allerdings mäßig, obwohl er ein damals brennendes Thema aufnahm, die Wegwerfkultur, die das Fernsehen Berlusconis aufgebaut hatte. Seit Fellinis Tod 1993 wurde es auch stiller um Mastroianni — plötzlich fehlte der Gegenpart. Und außerhalb des Filmorbits Fellini konnte sich Mastroianni eben nie richtig in Szene setzen.
So sehr er nämlich anerkannt war als Schauspieler, so blaß blieb er für viele als Persönlichkeit. Interviews mit ihm verliefen meist blutleer, Fragen zur Kunst, zum Film oder — wie sonst in Italien sehr gebräuchlich — zur Politik brachten bei ihm faktisch gar nichts. Schnell kam man daher immer, wenn man über Mastroianni sprach, auf den anderen Großen seines Alters, Vittorio Gassmann, der teils mit großer Geste, teils mit grimmigem Herunterspielen und gut ausgelebter bohemischer Verrücktheit immer wieder nach vorne kam, während Mastroianni allenfalls im Umfeld von Premieren wieder mal entstaubt wurde. Schon in einem ihrer ersten gemeinsamen Filme, „Diebe haben's schwer“, stahl Gassmann mit einer einzigen Masche dem Schönling Mastroianni die Show — er stotterte, leicht nur, aber doch so, daß man immer nur auf ihn starrte, um den nächsten Höcksler nicht zu verpassen.
Mastroianni selbst suchte aus der Zwiespältigkeit des überragenden Schauspielers und des unverwendbaren Privatmenschen eine Tugend zu machen: für Mimen, die je nach Rolle ab- und zunehmen, sich als die Figur fühlen, die sie verkörpern, hatte er nur Spott übrig: „Typisch amerikanisch, immer jemand anderer sein wollen, als man ist.“ Seine Schauspielphilosophie bestand umgekehrt darin, die Figuren so hinzubiegen, als wären sie alle Mastroiannis. Da aber aufgrund der genannten Ausdrucksschwäche im Privaten kaum jemand wußte, wer und was dieser Mastroianni nun wirklich ist, blieb er im Grunde allen ein Geheimnis — das aber wiederum, anders als andere Geheimnisse, irgendwann langweilig wurde.
Frauenliebling war er natürlich trotzdem immer, sein Spanielhund-Blick erweichte alle, seine verschüchtert wirkende Stimme weckte bei Frauen Muttergefühle und veranlaßte Männer zu einem Verhalten wie einem jüngeren Brüderchen gegenüber. Letzteres allerdings erwies sich oft als schwerer Fehler, was der Mann spätestens dann merkte, wenn seine Frau versuchte, mit Marcellino durchzubrennen.
Am Donnerstag morgen starb Marcello Mastroianni, der seit einiger Zeit mit einer Krebserkrankung zu kämpfen hatte, im Alter von 72 Jahren in seiner Pariser Wohnung. An seinem Krankenbett standen Catherine Deneuve und ihre gemeinsame Tochter Chiara Mastroianni, die inzwischen auch Schauspielerin ist.
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