piwik no script img

Mehr Seelsorger als Diplomat – Bischof Forck starb zu Weihnachten

■ Er war ein unbotmäßiger Kirchenmann, trug „Schwerter zu Pflugscharen“ auf der Aktentasche und wurde 73 Jahre alt

Gottfried Forck, bis 1991 Bischof der Ostseite des gespaltenen Bistums Berlin-Brandenburg, ein evangelischer Christ, der seiner Obrigkeit weniger untertan war, als es das orthodoxe Lutheranertum und die Theologie des Ministeriums für Staatssicherheit vorsahen, ist diese Weihnachten mit 73 Jahren in Rheinsberg verstorben. Ein Kirchenmann, der stets mehr Seelsorger war als Diplomat, einer, der sich auch als Altbischof einmengte, wobei er über den Tellerrand unserer deutschen Probleme weit hinausblickte. Zu Zeiten der DDR, in den frühen 80er Jahren, klebte das geächtete Emblem „Schwerter zu Pflugscharen“ auf seiner Aktentasche, gut sichtbar für die Herren vom Staatssekretariat für Kirchenfragen. Und obwohl er mit vielen guten Gründen für das „Dableiben“ votierte, fand er sich nie bereit, den „Ausreisern“ Hilfe zu verweigern. „Kirche im Sozialismus“ war für ihn eine Ortsbestimmung, mit keinem willigen Arrangement verbunden, was ihn von so manchem wendigen Kirchenfürsten und -juristen unterschied. Hier einige kurze Auszüge aus dem Fernsehinterview, das er April 1990 Günther Gaus gab, zu einem Zeitpunkt, als die rasche Einheit bereits absehbar, aber noch nicht alle Blütenträume ausgeträumt waren. C.S.

Günther Gaus: Werden Sie DDR-Eigenheiten bis ans Ende Ihrer Tage mit sich tragen?

Gottfried Forck: Ein paar Eigenheiten schon. Ich habe mich zum Beispiel intensiver mit dem Marxismus befaßt, als ich das wahrscheinlich in Westdeutschland getan hätte. Und auf der Strecke glaube ich entdeckt zu haben, daß der Marxismus im Grunde genommen eine humanistische Lehre ist. Eine Lehre, die wirklich den Menschen meint und deshalb den Anspruch hat, daß man sich mit ihr beschäftigt. Es gibt manche Dinge im Marxismus, die als Anliegen unaufgebbar sind und die auch Christen sich zu eigen machen sollten.

Werden Sie nicht mit dieser Erfahrung bei der Mehrheit im vereinigten Deutschland einschließlich der Mehrheit der evangelischen Pfarrerschaft exotisch wirken?

Kann ich mir vorstellen, bei einzelnen, nicht aber bei der Mehrheit. Ich denke, daß das Soziale als ein unaufgebbares Anliegen für alle, die Christen sein wollen, so wichtig ist, daß es auch von vielen eingesehen wird.

Jetzt oder erst wieder in Zukunft?

Ich glaube auch jetzt. Bei allen Problemen, die uns mit Blick auf die Wiedervereinigung beschäftigen, darf gerade jetzt nicht verlorengehen, daß wir auch in der DDR zu den reichen Nationen gehören. ... Wie können wir den Menschen der Zweidrittelwelt helfen, die in wirklicher Not und in Elend leben? Wenn uns diese Frage verlorengeht, wenn wir nur unsere Sache behandeln, dann würden wir sehr egoistisch und für mein Empfinden unsozial handeln.

Denken Sie, daß das westliche System imstande ist, die globalen Probleme der Zukunft zu lösen?

Das ist mehr die Frage. Ich vermute, daß gerade auch die Kirche in einem solchen System sehr wirksam werden müßte, um unsere Verantwortung in Erinnerung zu bringen. Die Verantwortung für die Südwelt, für die Hungrigen, für die wirklich Leidenden. In der Bundesrepublik passiert zwar viel, aber es geschieht doch auch zum eigenen Vorteil. Es müßte wirklich mehr Hilfe in diese Länder.

Wie wollen Sie das ändern, wenn sie nicht das System ändern?

Ich denke, es müßte eine neue Weltwirtschaftsordnung geben. Und weil man den alten Adam und die alte Eva kennt, meine ich, daß man Kontrollsysteme einführen müßte.

Das ist Systemveränderung!

Ja.

Ist das der Dritte Weg?

Es scheint mir ein möglicher kritischer Weg gegenüber einem Staat, der wie selbstverständlich den eigenen Vorteil seiner Bürger für das Maßgebliche hält.

Gibt es einen verschwiegenen Winkel in ihrem Herzen, in dem Sie empfinden, daß eine reformierte DDR doch eine bekömmliche Sache für die Deutschen und die Europäer gewesen wäre? Geht derzeit auch Beklagenswertes zugrunde?

Schwer zu sagen, weil ich nicht weiß, wie eine solche Reform hätte gelingen können. Aber ich meine in der Tat, daß man über alle Dinge, die in der Vergangenheit waren, nachdenken müßte und nicht einfach sagen dürfte, das war alles schlecht und geht mit dem Sozialismus, den wir jetzt abgelöst haben, zugrunde und westdeutsche Systeme und Vorstellungen werden jetzt als das Bestimmende eingeführt. Das würde ich für falsch halten. Es kann bestimmte Dinge geben, die bei uns noch weitergeführt werden sollten, die gut waren. Hier müßte man sehr behutsam sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen