: Slibowitz statt Slobodan
■ Serbiens Opposition begießt das Urteil der OSZE: Präsident Slobodan Milošević wird darin zur Respektierung des Ergebnisses der Kommunalwahlen aufgefordert. Miliz zieht sich teilweise zurück. Zehntausende feiern in Belgrad
Belgrad/Genf (taz) – Die serbische Opposition hat die Kommunalwahlen in 14 Städten des Landes gewonnen. Zu diesem Ergebnis kam die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nach einem Besuch in Belgrad. Der Leiter der OSZE-Untersuchungskommission, der ehemalige spanische Regierungschef Felipe González, forderte die serbische Führung unter Präsident Slobodan Milošević auf, den Willen des Volkes zu achten. Die Annullierung der Wahlergebnisse sei nicht gerechtfertigt.
Nach Bekanntwerden des OSZE-Berichts in Belgrad zogen sich die schwerbewaffneten Bereitschaftspolizisten, die zwei Stunden eine Demonstration der Studenten blockiert hatten, zurück. Unter dem Jubel Tausender, die ein Spalier bildeten, marschierten die Milizionäre zu ihren Bussen. Zurück blieben jedoch die Polizisten, die die Demonstration des Oppositionsbündnisses Zajedno verhindern sollten.
Noch vor der Vorstellung des OSZE- Berichts in Genf hatte die Belgrader Führung der europäischen Organisation jeglichen Einfluß auf das Ergebnis der Kommunalwahlen abgesprochen. Vizeministerpräsident Nikolai Sainović sagte am Donnerstag abend: „Alles, was die internen Angelegenheiten unseres Landes angeht, wird innerhalb der Institutionen unseres Landes gelöst.“ Tatsächlich haben die Empfehlungen der OSZE keinen bindenden Charakter.
Das Ergebnis des OSZE-Berichts verbreitete sich schnell in ganz Belgrad. Der zentrale Platz der Republik füllte sich innerhalb von Minuten mit rund 80.000 Menschen. Spontan wurde Slibowitz ausgeschenkt und auf den Sieg Zajednos angestoßen. Die Studenten zogen auf die Straße, tanzten, blockierten hüpfend für einige Minuten den Verkehr, um ihn dann wieder freizugeben. Gegen 15.30 Uhr fuhr der Lautsprecherwagen von Zajedno auf dem Platz der Republik vor. „All we are saying, is give peace a chance“, klang aus den Lautsprechern. Zu Beginn der Kundgebung wurde dann die alte jugoslawische Nationalhymne aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg gesungen. Ein Sprecher gab die Ergebnisse der OSZE-Mission bekannt. Ohrenbetäubender Beifall setzte ein. Anschließend wurden die Städte einzeln verkündet und jedesmal mit einem „Hoch“ begrüßt. In einer Ansprache forderte Vuk Drašković, einer der Führer des Oppositionsbündnisses Zajedno, alle Arbeiter, Schüler und Angestellten zum Generalstreik gegen das Regime auf. Im Anschluß an die Kundgebung kam es erneut zu Übergriffen der Milizionäre. Etwa 50 Mann einer Sondereinheit gingen ohne erkennbaren Grund mit Schlagstöcken gegen eine Gruppe von Demonstranten vor. Ein Mann, der das Bewußtsein verlor, wurde in einem Krankenwagen abtransportiert. Heute soll die Demonstration von Zajedno auf dem Friedhof stattfinden, auf dem das Opfer der Auseinandersetzungen vom Heiligabend beigesetzt wird. Georg Baltissen
Interview Seite 10
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