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Der verehrungswürdige Meister

■ In einer Serie fragt die taz, was aus gestürzten Bossen in der Wirtschaft wurde: Licio Gelli, Gründer der Loge Propaganda 2

Rom (taz) – In den 70er Jahren brachte er geheim, in den 80ern öffentlich Politiker und sonstige Entscheidungsträger in Italien durcheinander: Licio Gelli, geboren 1917 in Pistoia. Während des Faschismus kollaborierte Gelli mit den deutschen Besatzern, nach dem Krieg war er Helfer vieler exilierter Nazis, danach Mitglied verschiedener Geheimlogen und Bruderschaften. In den 70er Jahren gründete er die „Propaganda 2“, ein Elitebund unter dem Dach des „Großen Orient von Italien“. Mit Hilfe von Geheimdienstberichten erpreßte Gelli Politiker bis hin zu damaligen Staatspräsidenten, entschied, wer welche hohe Stelle bekam, brachte Geldinstitute unter die Botmäßigkeit der Loge „P 2“ und kungelte mit dem Vatikan- Bankier Erzbischof Marcincus.

1981 flogen die Loge und Gelli als deren „verehrungswürdiger Meister“ auf: Bei einer Hausdurchsuchung seiner „Villa Wanda“ bei Arezzo fand sich ein fast tausend Namen umfassendes Verzeichnis von Mitgliedern der „Propaganda 2“. Darin standen zwei amtierende Minister und drei Staatssekretäre, mehrere Parteichefs, sämtliche Spitzen des Generalstabs, der Geheimdienste, der Polizeiführung, Medientycoons, Konzernchefs und auch ausländische Politiker. Im Gefolge der Entdeckung brach die katholische „Bank Ambrosiano“ aus Mailand zusammen, ihr Chef Roberto Calvi wurde erhängt unter der „Brücke der schwarzen Brüder“ in London aufgefunden. Die Vatikanbank IOR, die für die „Ambrosiano“ gebürgt hatte, stand mit einer Milliarde Dollar Verbindlichkeiten da.

Nur von Gelli fehlte jede Spur – bis er in der Schweiz verhaftet wurde. Angeblich kam er im sichersten Gefängnis in Abschiebehaft – und floh von dort mit dem Hubschrauber. Dann wurde er in allerlei südamerikanischen Ländern gesichtet und stellte sich schließlich wieder den Schweizer Behörden. Nach langwierigem Feilschen mit Italiens Strafverfolgern wurde er ausgeliefert – unter der Auflage, ihm nicht wegen Beteiligung an terroristischen Attentaten, wie die Italiener forderten, den Prozeß zu machen, sondern wegen betrügerischen Bankrotts. Ergebnis: vier Jahre Gefängnis, bereits durch U-Haft zum Bewährungsminimum herabgestuft. Als Gelli danach wieder im Land umherzuckelte, stellte ihm der Staat eine Eskorte – aufgrund seines Wissens um die Mächtigen befürchtete man Attentate.

Dann wurde es still um Gelli. Nur wenn neue Korruptionsskandale aufkommen, hört man wieder von ihm. Zuletzt Mitte des Jahres, als der Eisenbahn-Präsident Necci wegen riesiger Schmiergeldzahlungen verhaftet wurde und sich ein ehemaliger Gelli-Mann als einer der Korruptions-Mittelsmänner herausstellte. Anhaben kann man Gelli wohl kaum etwas. Denn vor zwei Monaten erkannte ein römisches Gericht (das vor 15 Jahren die Ermittlungen wegen angeblicher Staatsinteressen an sich gezogen hatte), daß die „P 2“ trotz aller dokumentierten Putschpläne gar keine verbrecherische Organisation war, sondern lediglich ein Karrieristenverein. Seitdem läßt Gelli sich wieder in der Öffentlichkeit sehen – zu alt, um noch einmal bedeutend einzugreifen, aber immer noch kräftig genug, seine Leute in wichtigen Ämtern zu plazieren. 1994 wurde ein ehemaliger Logenbruder Ministerpräsident: Silvio Berlusconi, den der Maestro Venerabile mit der Beitrittsnummer 0625 in seinen Geheimbund aufgenommen hatte. Werner Raith

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