Interview: Jörg Kuhbier: „Spontan human“
■ Hamburgs SPD-Landeschef fordert, U-Bahnhöfe für Obdachlose zu öffnen
taz: Die Deutsche Bahn erlaubt ab sofort Obdachlosen, die Eiszeit im Bahnhof zu überbrücken. Doch Hamburgs U-Bahn-höfe bleiben dicht. Hat die SPD kein Herz für Wohnungslose?
Jörg Kuhbier: Eindeutig nein! Dennoch finde ich die Entscheidung der Bahn human und richtig und würde es sehr begrüßen, wenn auch die Hochbahn in diesen außergewöhnlich kalten Tagen die U-Bahnhöfe nachts öffnen würde.
Bürgermeister Henning Voscherau behauptet, das sei nicht nötig. Die Stadt garantiert jedem Obdachlosen ein Bett und ein beheiztes Dach überm Kopf.
Das ist auch richtig. Übernachten in den Bahnhofshallen darf deswegen auch kein Dauerzustand werden oder das Winternotprogramm für Obdachlose ersetzen. Aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, daß viele Obdachlose eine unüberwindbare Ablehnung gegen die Unterkünfte in den Containern und auf den Wohnschiffen hegen. Ich finde deswegen, daß man auf eine solche Situation flexibel reagieren muß ...
... indem man zum Beispiel auch die Unterkünfte verbessert?
Sicherlich gibt es hier Verbesserungsmöglichkeiten. Aber das ist auch eine Frage der Kosten. Im übrigen liegt die oft generelle Ablehnung in dem ganz eigenen Wertesystem vieler dieser Menschen begründet. Häufig sind sie auch sehr fatalistisch. Wenn sie zum Beispiel ein einziges Mal beklaut worden sind, ist ihrem Widerstand gegen diese Unterkünfte meistens rational nichts mehr entgegenzusetzen. Trotzdem darf man nicht tatenlos zusehen, wie diese Menschen erfrieren, sondern muß alle Möglichkeiten zur Hilfe nutzen.
Und warum tut der SPD-Senat dies nicht?
Er wird sicher mit der Hochbahn sprechen. Bei der Abwägung zwischen der Gefahr, Menschen erfrieren zu lassen, und der sicherlich aus verschiedenen Gründen problematischen zeitweiligen Öffnung der U-Bahnhöfe würde ich mich immer für letztere aussprechen: Ich entscheide hier in einer Notlage für eine spontane Reaktion. Fragen: hh
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