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Arbeitslos trotz Wirtschaftswachstum

Hamburg: Rund 88.000 Erwerbslose und kein Konzept für mehr Arbeit  ■ Von Florian Marten

“Was wird 1997? Wann schaffen wir die 100.000? 3.000 bis 5.000 Arbeitslose werden wir diesen Winter sicher noch draufpacken!“ – mit bitterem Humor präsentierte Hamburgs Arbeitsamtschef Olaf Koglin gestern die Dezemberstatistik des Hamburger Arbeitsmarktes. Mit knapp 88.000 Arbeitslosen ist Hamburg wieder fast auf jenem Rekordniveau, das 1951 und 1987 mit jeweils über 100.000 Arbeitslosen erreicht wurde.

Trotz eines Wirtschaftswachstums von zwei Prozent verlor Hamburg 1996 zwei Prozent seiner Arbeitsplätze. Die Arbeitslosenquote schnellte von 11,2 auf 12,2 Prozent empor. Besserung ist nicht in Sicht: Statt dessen macht sich die Sparpolitik von Bundesregierung und Senat immer stärker in den Statistiken des Arbeitsamtes bemerkbar. Wenn sich 1997 die Sparbeschlüsse der Bundesregierung in Sachen Fortbildung so richtig bemerkbar machen, ist ein Schub von ein paar tausend zusätzlichen Arbeitslosen programmiert. Koglin kritisiert: „Bei der Fortbildung zu sparen, ist kontraproduktiv.“

Währenddessen verlangt Andreas Bachmann, GAL-Abgeordneter der Bürgerschaft, eine Wende der städtischen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik: „Wir können mit lokaler Politik zwar nicht 100.000 Arbeitsplätze schaffen – aber selbst die vorhandenen Handlungsspielräume werden nicht genutzt.“ Bachmann fordert eine Vorbildfunktion des öffentlichen Dienstes in Sachen Arbeitszeitverkürzung – zum Beispiel durch eine Kampagne für Wahlarbeitszeit, also individuelle Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich. Besonders aber setzt er auf eine aktive Wirtschaftspolitik der noch städtischen Unternehmen HEW und Landesbank. Die überaus kapitalkräftige HEW könnte etwa durch eine Politik der Energiewende regionale Arbeitsplätze schaffen. Bachmann mahnt: „Mit der drohenden Privatisierung von HEW und Landesbank beraubt sich die Stadt ihrer eigenen Handlungsmöglichkeiten.“

Der Senat setzt seine Prioritäten jedoch ganz anders: Um im globalen Wettbewerb fit zu sein, so fordern unisono Stadtchef Henning Voscherau und Wirtschaftssenator Erhard Rittershaus, müßten vor allem die Elbe vertieft, der Hafen erweitert, die vierte Elbtunnelröhre erweitert und der Flughafen ausgebaut werden.

Der renommierte Regionalökonom Dieter Läpple hält dies für einen Irrweg: Wer sich „gewaltsam für den Weltmarkt fit macht“, so doziert er, zerstöre dabei leicht seinen lokalen wirtschaftlichen Humus und vernichte so mehr, als durch herbeisubventionierte internationale Arbeitsteilung wieder hereingeholt werden könne. Läpple plädiert statt dessen für eine „quartier- und milieubezogene Entwicklung von Stadtraum und Ökonomie“. Auf deutsch: Hamburg soll eine intelligente kleinteilige Wirtschaftspolitik auf Stadtteilebene betreiben. Andreas Bachmann pflichtet ihm bei: „Durch die Sparpolitik des Bundes in Sachen ABM werden 1997 in Hamburg städtische Mittel frei. Diese könnten für eine aktive Beschäftigungspolitik bei stadtteilnahen freien Trägern eingesetzt werden.“

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