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Ladenöffnungszeiten ein Flop?

Viele Geschäfte wollen wieder früher schließen. Hamburger Einzelhandel gibt Durchhalteparolen aus. Gewerkschaft sagt „Siehste!“  ■ Von Florian Marten

Ahrensburg geht auf 19 Uhr zurück, Lübeck bleibt nur in der zweiten Wochenhälfte bei 20 Uhr. Und Hamburg? Noch weigern sich die Fachverbände des Hamburger Einzelhandels (FHE), von einer Pleite der längeren Ladenöffnungszeiten zu sprechen und verteilen Durchhalteparolen. FHE-Sprecher Ulf Kalkmann: „Unser Appell an den Handel ist, zumindest den Januar durchzuhalten und an einer gemeinsamen Kernöffnungszeit festzuhalten.“ Und Ludwig Görtz, Chef der gleichnamigen Schuhkette, mahnt: „Der Handel braucht einen etwas längeren Atem.“

Derweil haben viele Einzelhändler in Hamburg ihre Rollos längst vor 20 Uhr wieder heruntergelassen. Peter Hauschildt, Hamburger Chef der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), freut sich: „Jetzt tritt genau das ein, was wir prophezeit haben. Vor Weihnachten lief das Geschäft. Offensichtlich gehen die Leute jetzt nicht abends einkaufen. Der Bedarf ist einfach nicht da.“

Zwar haben weder HBV noch FHE die bisherigen Erfahrungen mit den liberalisierten Ladenöffnungszeiten bilanziert, doch erste Trends lassen sich festhalten: Neue Arbeitsplätze gibt es bislang nicht. Strittig ist allein, ob der Trend zum Personalabbau gestoppt wurde oder ob die Entlassungswelle 1997 weiterrollt – 1996 verloren 700 der 73.000 Einzelhandels-Beschäftigten ihren Job.

Die Umsätze stagnieren. 1996 verzeichnete Hamburgs Einzelhandel einen inflationsbereinigten Umsatzrückgang von 0,5 Prozent. Besonders betroffen waren Lebensmittelhandel, Heimwerkerwaren und Schmuck. Einen kleinen Boom gab es allein im Sportbereich, wo unter anderem die Inline-Skates, laut Kalkmann „das Produkt des Jahres“, für klingelnde Kassen sorgten. Von den längeren Öffnungszeiten profitieren vor allem „1a-Lagen“ (Hauschildt). „Die Konzentration wird sich durch das Abendshopping beschleunigen“, vermutet Ulf Kalkmann und prophezeit: „Wir rechnen damit, daß 1997 circa zwei Prozent der überwiegend kleinen Betriebe aufgeben müssen.“

Sind die neuen Öffnungszeiten ein Flop? Während Peter Hauschildt die Mahnungen seiner Gewerkschaft bestätigt sieht, macht Ludwig Görtz andere Erfahrungen: „Wir machen mittlerweile 25 Prozent unseres Umsatzes zwischen 18 und 20 Uhr. Die Kassenbons am Abend lauten auf höhere Beträge. Die Kunden kaufen entspannter. Insgesamt können wir einen deutlichen Streßabbau feststellen.“

Ins gleiche Horn stößt Hamburgs ÖTV-Chef Rolf Fritsch. Der Gewerkschaftsboß sieht deutlich mehr Kundenfreundlichkeit: „Ich wundere mich, daß jetzt einige die Umstellungsschwierigkeiten zu einer Grundsatzfrage hochstilisieren.“ Natürlich gebe es Unbequemlichkeiten für die Arbeitnehmer. Die müsse man tarifpolitisch nutzen. Dazu seien Gewerkschaften schließlich da. Fritsch ist überzeugt: „Eine Dienstleistungsgewerkschaft muß sich an den Kunden orientieren. Und die wollen längere Öffnungszeiten. Ich kann auch die Jammerhaltung der SPD in Sachen Ladenöffnungszeiten gerade in einer Metropole wie Hamburg überhaupt nicht verstehen.“

ÖTV-Mann Fritsch poltert nicht nur, er handelt auch: Die ÖTV hat beim Senat eine Verlängerung der Gleitzeitregelung bis 19 Uhr durchgesetzt. Die soll jetzt zu verlängerten Ämteröffnungszeiten genutzt werden.

Auch beim Modellprojekt „Zeiten der Stadt“, das das Senatsamt für die Gleichstellung der Frau derzeit in Barmbek-Uhlenhorst realisiert, ist die ÖTV mit von der Partie. Fritsch: „Wenn es jetzt dort zu Vereinbarungen mit Banken und Arztpraxen kommt, werden auch wir unseren Einfluß geltend machen.“ Ziel des Modellprojektes ist es, die Zeitangebote von Geschäften und öffentlichen Einrichtungen dem Bedarf der Menschen im Stadtteil anzupassen – insbesondere dem von berufstätigen und alleinerziehenden Frauen. „Die Liberalisierung der Öffnungszeiten“, so betont Projektkoordinatorin Sabine Issa, „ hat die Bedingungen für unser Projekt deutlich verbessert.“

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