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Rote Karte für Schnorrer

■ Hochbahn vertreibt Bettler aus Zügen

„Is' doch voll schwachsinnig“, sagt ein 25jähriger Spindeldürrer mit wirren Haaren und drückt seine Zigarette vor einem der neuen Plakate der Hamburger Hochbahn AG (HHA) gegen die Schnorrer aus. „Ich muß betteln, ich bekomme nur 77 Mark Sozialhilfe wöchentlich.“ Da seine Eltern in Bayern noch Kindergeld beziehen, wird ihm von der Stütze ein Teil abgezogen.

Mit einem knackigen roten Plakat auf fast allen U-Bahnen erteilt die Hamburger Hochbahn AG (HHA), unterstützt von der Sozialbehörde, den Hamburgern derzeit Nachhilfe in Sachen öffentlicher Armut: „Haste mal 'ne Mark? Niemand muß in Hamburg betteln!“ Unter diesem Titel listet die HHA alle Maschen des sozialen Netzes auf: Auf jeden Bedürftigen warten demnach ein warmes Schlafplätzchen, Mahlzeiten und Sozialhilfe. Wer draußen schläft, so die Botschaft, ist selbst dran schuld und soll den Fahrgästen der HHA gefälligst nicht auf den Wecker gehen.

Ende vergangenen Jahres war Stadtchef Henning Voscherau bei seinem mit der Innenbehörde abgestimmten Versuch, das Betteln in der City zu verbieten, am öffentlichen Widerstand und nicht zuletzt an seiner Sozialsenatorin Helgrit Fischer-Menzel gescheitert. Inzwischen hat Voscherau-Intimus und Ex-SPD-Fraktionschef Günter Elste, der sich letztes Jahr auf den Chefsessel der städtischen Hochbahn AG befördern ließ, den Bettler-Krieg neu eröffnet. Die HHA hat ihr Personal nach Beschwerden des Landesseniorenbundes angewiesen, gegen das Betteln in der U-Bahn gezielt vorzugehen.

„Gerade die älteren Mitbüger“, so Elste, „die selbst kaum Geld haben, können sich oft kaum wehren.“ Hilfe für bedrängte Senioren oder städtische Hetze gegen Hamburgs öffentliche Armut? Am kommenden Freitag debattieren ab 10 Uhr im Hörsaal des Fachbereichs Sozialpädagogik HHA-Vertreter und Sozialbehörde mit ExpertInnen und Betroffenen.

Paula Rosen

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