: Der Dali vom Dachboden
■ Manchmal findet sich in Omas Nachlaß ein womöglich wertvolles Stück. Wer weiß, ob nun teure Träume wahr werden oder neuer Trödel droht?
Da ist sie nun also tot, die gute Oma, und hat einen ganzen Hausstand hinterlassen. Abgelatschte Teppiche, gigantische Kommoden, Täßchen und Fläschchen, Krims und Krams. Nichts Wertvolles also, oder vielleicht doch? Die Angehörigen schnüren durch die Wohnung. Da, das Bild: Die Signatur ist kaum zu entziffern, aber könnte es nicht...? Schon glimmt die Glut für einen ersten Streit unter den Erben.
Hohe Zeit, sich Rat zu holen. Zum Beispiel bei Dr. Alfred Löhr, dem stellvertretenden Leiter des Focke-Museums. Seit 20 Jahren berät er an jedem ersten Dienstag im Monat jene Menschen, die zu ihm kommen, weil sie hoffen, sie hätten Pretiosen geerbt oder auf dem Flohmarkt erstanden. Der berühmte Tizian vom Dachboden ist allerdings ein Märchen, Dinge von hohem materiellen Wert macht Dr. Löhr nur in zwei Prozent aller Fälle aus.
Doch selbst dann wird er sich nicht dazu hinreißen lassen, irgendeine Zahl zu nennen. Dazu ist er nicht befugt. Ebenso wenig die anderen Museen, die einen ähnlichen Service wie das Focke-Museum vorhalten. Sie dürfen nicht aktiv in den Handel eingreifen. Es ist ihnen aus rechtlichen Gründen untersagt, einen Preis zu nennen. Dies bleibt den vereidigten Sachverständigen vorbehalten. Die haben ihre Spezialgebiete, beobachten die aktuellen Bewegungen auf dem Kunstmarkt und können daher Teppiche, Briefmarken, Münzen, Schmuck, Bilder oder Möbel ziemlich genau dotieren.
Das machen die Gutachter freilich nicht umsonst, ihr Entgeld bemißt sich am geschätzten Wert des Objektes. Diese Ausgaben möchte sich offensichtlich mancher sparen. Immer wieder, so Dr. Löhrs Erfahrung, werden verkappte Profi-Trödler im Focke-Museum vorstellig, um ihre Orden, Radierungen, Landkarten, kurz: ihre Trophäen von der Jagd durch die Haushaltsauflösungen unentgeldlich schätzen zu lassen. „Wenn ich das merke, gehe ich da etwas kursorisch durch“, bemerkt Dr. Löhr lapidar.
Mehr Zeit nimmt er sich etwa, wenn ein älteres Ehepaar, um allen Streitigkeiten unter den Enkeln vorzubeugen, sein Porzellanservice fürs Testament begutachten lassen will. Und ganz viel Zeit nimmt sich der Kulturhistoriker, wenn er merkt, daß es den Fragenden nicht allein um den materiellen Wert geht, sondern um die Geschichte des Objektes. Wenn etwa junge Leute Interesse an einer seit Generationen weitergereichten Bibel zeigen. Da schlägt Löhr in Katalogen nach, gibt Buchtips, macht Vorschläge zur Recherche. Meistens aber, so seine Erfahrungen, interessiert die Menschen nur der materielle, nicht der kulturgeschichtliche Wert. Auch in dieser Hinsicht nagt der Zahn der Zeit an den Dingen, sie verlieren ihre Tiefe, ihre historische Dimension. „Die Überlieferungen von Generation zu Generation nehmen ja unheimlich ab“, sagt Löhr mit deutlichem Bedauern. Daher rät er allen Interessierten,aufzuschreiben, was in der Familie über eine Bibel, eine Uhr oder ein sonstiges Schmuckstück tradiert wurde.
Stücke, deren Geschichte bekannt ist, sind auch für das Focke-Museum interessant. So freute sich Dr. Löhr, als ihm zwei Bremer Silberstücke als Schaustücke zur Verfügung gestellt wurden: ein Puppen-Service aus dem 18. Jahrhundert und ein Tafelgeschirr aus Bremer Familienbesitz. Wertvolle Gegenstände in jeder Hinsicht, allerdings schwer zu schätzen: „Kulturgeschichtliche Dinge sind sehr schwer im Preis zu bestimmen. So etwas kann in einer Auktion mit 1.000 Mark angesetzt sein, dann aber 10.000 Mark bringen.“
Kulturgeschichtlich wertvoll sind mittlerweile für das Focke-Museum auch ein Hawaiihemd, ein Petticoat oder eine Originaljeans aus der Zeit des Rock'n'Roll. Diese Dinge zu einer Ausstellung zusammenzustellen, könnte, meint Löhr, eine interessante Arbeit sein. Anderes aber will er nicht einmal geschenkt haben. Beispielsweise „Tourismuskram“, Mitbringsel aus der Ferne, mit der diese sich am Käufer gerächt hat. So brachte einer zwecks Begutachtung einmal „elfenbeinerne Buchstützen“, die sich bei näherer Untersuchung als Plastikware herausstellen. „Da macht es fast Vergnügen zu sagen, um was es sich wirklich handelt.“
Solche Gefühle sind auch Hans-Georg Fiebig nicht fremd. Er hat 20 Jahre Erfahrung als Auktionator. Er weiß oft schon beim ersten Blick auf das Objekt, ob sich die Begierde der Besitzer lohnt oder nicht. Hans-Georg Fiebig arbeitet für das Auktionshaus Hansa, dem die Immobilienfirma Kolz angeschlossen ist. Volker Kolz ist vereidigter Gutachter für Haushaltsgegenstände und Nachlässe. Das Auktionshaus Hansa arbeitet unter anderem für Gerichte und kooperiert bei der Verwaltung der Nachlässe im Bedarfsfall mit Ämtern und Versicherungen. Der Service reicht von der Reinigung von Wohnungen und Häusern über die Bewertung der darin befindlichen Gegenstände bis hin zum Hausverkauf.
Folglich geht es im Auktionshaus Hansa nicht immer um große Kunst. „Es gibt nicht so viele wertvolle Haushalte in Bremen“, bilanziert Hans-Georg Fiebig. Doch zuweilen sind es gerade die kleinen unauffälligen Dinge, die, von Kennern erstritten, bei einer Auktion hohe Preise erzielen. Zum Beispiel eine Silberdose aus dem Barock, gefunden im Wohnzimmerschrank einer verstorbenen Sozialhilfeempfängerin. Der Rest des Inventars war Müll, erinnert sich Fiebig. Die Dose aber erzielte zur Freude des Sozialamtes einen Auktionspreis von 2.400 Mark.
15 bis 30 Prozent vom Verkaufspreis behält das Auktionshaus für seine Bemühungen. Dahinter steckt oft eine Menge Sozialarbeit. Häufig wenden sich ältere Menschen an den Auktionator, um ihr Hab und Gut für das Testament schätzen zu lassen. Ein schwerer Gang, denn abgesehen davon, daß den meisten die Beschäftigung mit dem Tod schwerfällt, entsprechen die Schätzungen des Auktionators nicht immer den Werten, den ihre Besitzer ihnen subjektiv zumessen. „Ein schönes Bild“, muß Fiebig dann trösten, dann aber doch klarstellen, daß es beim Verkauf wenig Geld bringen würde.
„Da braucht man manchmal viel Feingefühl“, erklärt Fiebig. Die Auktion aber, fährt er fort, sei die eleganteste Art des Verkaufs von Nachlässen. Die Auktion entspreche den eigentlichen Zielen der freien Marktwirtschaft und garantiere einen gerechten Preis.
Doch es geht immer mehr aus diesem Wertekreislauf verloren. „Die Nachkriegsgeneration hat alles festgehalten, heute wird alles weggeschmissen“, bedauert Fiebig. „Aber wir brauchen Leute, die was wegschmeißen, damit die Sachen, die übrigbleiben, im Wert steigen.“ dah
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