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Scheiß-Pinneberg

■ Holsteinische Bahnhofslautsprecher und was aus ihnen in diesen Tagen so herauskommt Von Jürgen Oetting

Freitagmorgen, kurz nach sieben. Mein Sohn fragt mich – leicht schadenfroh grinsend: „Papa, mußt du heute wieder nach Pinneberg?“ Ich bin jetzt nämlich oft in Pinneberg. Die Streckenführungslogik der Deutschen Bahn AG treibt mich seit dem Absturz ihres neuen Altonaer Stellwerk-Computers ständig in dieses Kaff. Von dort geht es dann mit der S-Bahn weiter, weil der große Kopfbahnhof seit Tagen nicht von Regional- und Nahverkehrszügen aus dem Norden angefahren wird. Meine Antwort ist knapp: „Muß ich wohl, kam eben durch die Nachrichten.“

Eine Bestätigung der Pinneberg-Umsteige erhalte ich an meinem Startbahnhof nicht, die haben ganz andere Sorgen. Gerade wurde eine Bahnüberführung von einem Laster gerammt, und prompt kommt die Lautsprecherdurchsage: „Der InterRegio 2073 von Flensburg nach Göttingen – planmäßige Abfahrt acht Uhr drei – verspätet sich auf unbestimmte Zeit.“ Sekunden später erlischt die automatische Anzeige und wird durch „Auf Lautsprecherdurchsagen achten!“ ersetzt. Viele Reisende hangeln sich mit Sack und Pack die Bahnsteigtreppe runter, um in der Halle zu warten. Die Bahn sorgt für ihr Fitneß-Programm: Genau vier Minuten später werden sie wieder hochgehetzt, die Einfahrt des Zuges wird angekündigt, und er kommt tatsächlich.

Bis Tornesch kann ich in Ruhe lesen, dann werde ich unruhig: Was ist jetzt mit Pinneberg? Endlich die Durchsage: „In wenigen Minuten erreichen wir Pinneberg. Reisende nach Altona steigen dort bitte in die S-Bahn um.“ Doch, kaum Pinneberger Bahnsteigbeton unter den Füßen, hören wir die Durchsage: „Der InterRegio fährt nach kurzem Aufenthalt weiter nach Altona!“ Nach Altona? Kurze Debatten mit dem Zugführer und den auf dem Bahnsteig bereitstehenden Walkie-talkie-Mädels und dann durch alle Bahnhofslautsprecher: „Dieser Zug fährt nach Altona.“

Wie schön, sie haben es also geschafft. Der Laden läuft wieder. Also alle zurück in den InterRegio. Und der fährt tatsächlich – ein paar Minuten. Dann bleibt er im Eidelstedter Gleisgewirr stehen. Der Zugbegleiter erklärt, aber diesmal ohne Lautsprecher: „Ich hab's doch gewußt, wir wechseln hier die Lok.“ Und Altona? Mit einer E-Lok vorne dran kann der Zug doch nicht nach Altona fahren, dann müßte die ihn ja bis Göttingen schieben. Der Zugbegleiter: „Wir fahren nicht nach Altona – war ne Falschmeldung“. Ein wutentbrannter Mann springt aus dem Zug und macht sich zu Fuß auf den Weg zum nächsten S-Bahnhof. Und wir anderen Pendler – ruhige, ausgeglichene Typen – fahren mit dem InterRegio zum Dammtorbahnhof und dann mit der S-Bahn zurück nach Altona. Und freuen uns auf die abendliche Rückfahrt – via Pinneberg. Dort müssen wir auf dem zugigen Bahnsteig höchstens 45 Minuten warten, bis er kommt: Der InterRegio von Göttingen nach Flensburg.

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