: „Ich möchte meine Rollen herausgebären“
■ Das KünstlerHaus präsentiert mit „passiertsiebzehn“ eine Performance aus Butoh-Tanz, Live-Musik und Malerei
Die erste Irritation wartet an der geöffneten Eingangstür: Eine junge Frau hockt dort, in spastischen Bewegungen, starrem Blick, in sich selbst gefangen. Offensichtlich unfähig, sich vom Fleck zu bewegen. Sie wirkt wie eine Blockade, an der sich vorbeizuwinden innere Mühe kostet.
Die „..spur..“, so der Titel der Performance, führt weiter. Vorbei an papiernen Wänden und einem hölzernen Thron hin zu einem Mann, der selbstvergessen auf der Erde sitzt. Vor sich fünf quadratische Holzbretter. Konzentriert und gelassen versucht der Mann, darauf rohe Eier aufzurichten. Er läßt sich nicht stören von den lärmenden ZuschauerInnen, die beim Betreten des Raumes gefährlich nahe an dem fragilen Schaffen vorbeistreifen. Doch alle achten die Tabuzone, als wäre sie von einer Hochspannungsleitung umgeben.
Zwei Eier hat er schon zum Stehen gebracht. Wer den Mann beobachtet, verflucht zunächst und vergißt schließlich die störenden Geräusche ringsum. Ist gefangen, gebannt, macht mit, schiebt den Körper in die Gegenrichtung, sobald das Ei in Schieflage gerät, und spürt der inneren Mitte nach. Doch da löst sich die Frau von der Tür. Mit kantigen Schritten kommt sie auf die Holzbretter zu, trampelt über die unsichtbare Grenze, zerstampft die mühsam aufgerichteten Eier und deren vollendetes Schattenspiel. Aus, vorbei. Hier könnte die Performance enden, denn es ist schon so viel passiert, daß es kaum auszuhalten ist.
„passiert“ heißt treffend die ungewöhnliche Veranstaltungsreihe, die die Galerie im KünstlerHaus am Deich 1993 gestartet hat. Nachdem schon „passiert16“ im vergangenen Dezember unter dem Titel „Schicht“ eine Performance zeigte, die Live-Musik mit Butoh-Tanz vereinte, wird „passiert17“ durch ein zusätzliches Medium ergänzt: die Malerei.
Daß diese viel mit dem Tanz gemein hat, zeigt schon, wie die Performance-KünstlerInnen erklären, die japanische Kalligraphie: „'Shodo' ist nicht nur Tuschemalerei, nicht nur Zenweg und somit Erkenntnis-Suche, sondern auch (im Gegensatz zur europäischen Malerei) Tanz, mit Atem, Bild, Gefühl und Fließenlassen der Bewegung – Durchlässigsein für Impulse, genau wie Butoh; ... doch bleibt, anders als beim reinen Tanz, hier eine Spur, ein Pinselstrich, eine sichtbare Fährte der davor ereigneten Atemzüge als Bild zurück.“
Diese Spuren findet das Publikum von „passiert17“ in jeder Ecke des Raumes. Manche wirken wie Symbole, andere wie alte Schriften, deren Bedeutungsgehalt erst wieder zu entziffern ist. Jetzt greift auch der Mann, seinen Schrecken über die Zerstörung seines Werkes überwindend, zur Farbe. Er schüttet ein kräftiges Indigoblau über Eigelb und -weiß, badet seine Hände darin und beginnt die Wand zu bemalen. Die Frau beobachtet ihn, in stolzer Pose erstarrt, aus der Ferne. Er taucht einen langen Grasbüschel in schwarze Tusche und entwirft in wenigen Gesten ihr Porträt.
Ausbalancierte Vieldeutigkeit
Ohne daß ihm dies, wie er später erklärt, bewußt ist. Das Bild ist ein reines Produkt der momentanen Beziehung, der Spannung zwischen den beiden im Spiel. Da geraten sie immer mehr ins Miteinander, folglich auch ins Gegeneinander. Der Kampf um den Thron kann nicht ausbleiben. Eine Andeutung nur, minimale Bewegungen genügen, um den entbrannten Sturm mit allen Sinnen zu erfahren. Schließlich haben sie sich bei den Augen. Doch jetzt sind sie getrennt durch eine Tonspur, gelegt von den Musikern, die bislang fast ausschließlich begleitend und hinter der Kulisse aktiv waren. Mitten durch den Raum haben sie eine Schleife gelegt, ein Tonband, das die Geräusche des Publikums beim Betreten des Raumes wiedergibt. Ein verzerrtes Kauderwelsch, Spuren der Ankunft der ZuschauerInnen, ihrer aktiven Teilnahme, und des Ausgangs der Performance.
Doch wie geht sie aus? Eine eindeutige „Lösung“ gibt es nicht. Jeder Zuschauer hat seine eigene Version dessen, was sichtbar und, ebenso wichtig, unsichtbar war. Das Geschehen ist Ausdruck der eigenen Reflektion, ist keine Aufführung sondern eher eine Einführung ins eigene Innere. „Vieldeutigkeit und Balance sind wesentliche Mittel des Butoh-Tanzes“, erklärt Raimund Driesen, der die Rolle des Mannes gespielt hat. „Der Butoh-Tanz ist eine Schulung an den inneren Bildern.“ Driesen, eigentlich Maler, fand über das Theater zum Butoh-Tanz. An der Staffelei spürte er den „Verlust der Unmittelbarkeit“ und suchte nach zusätzlichen Ausdrucksmitteln. Die fand er vor zehn Jahren im Butoh-Tanz.
Wie er verfügt auch Mitschiko Tsubaki über fundierte Kenntnisse und eine lange Schulung im Butoh-Tanz. Tsubaki ist Bildhauerin, doch auch ihr ist diese Festlegung zu starr. Heute arbeitet sie als Choreografin, Tänzerin und bildende Künstlerin: „Ich habe viele Rollen in mir. Und ich möchte meine Rollen herausgebären.“ dah
Um 20 Uhr im KünstlerHaus. Deich 68
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