: Gedaddel mit Abschiebestopp
■ Hamburg nutzt Länder-Spielraum bei Kurden-Abschiebung nicht aus / Gnadenfrist bis zum 31. März Von Kaija Kutter
Quasi in letzter Minute ließ Innensenator Hartmuth Wrocklage gestern verkünden, wie Hamburg auf die für heute angekündigte Aufhebung des bundesweiten Abschiebestopps für Kurden reagiert: er wird noch einmal verlängert, aber zunächst nur bis zum 31. März.
Damit nutzt die Hansestadt den Spielraum bei weitem nicht aus, den Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Schnoor für die SPD-regierten Länder reklamiert. Bis zum 12. Juni, das erklärte Schnoor, der die SPD-Politik in der Kurdenfrage koordiniert, in der taz, könnte man ohne Bonner Zustimmung den Abschiebeschutz verlängern. Möglich sei dies, weil mit der erneuten Verhängung des bundesweiten Abschiebestopps durch Innenminister Manfred Kanther am 12. Dezember – damals Reaktion auf die skandalöse Verurteilung von sechs kurdischen Parlamentariern – die sechsmonatige Frist neu beginnt, in der die Länder eigenständig handeln können.
Wie aus Bonn verlautete, wenn auch vom Innenministerium gestern noch nicht offiziell bestätigt, beabsichtigt die CDU den generellen Stopp heute aufzuheben. Als Legitimation dient eine Vereinba rung zum Schutze abgeschobener Kurden, die Kanther mit dem türkischen Innenminister getroffen hat.
Bei der Bonner SPD und auch bei FDP-Justizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger stößt diese Entscheidung auf Empörung, weil damit eine ebenfalls für heute anberaumte Experten-Anhörung des Bundestags-Innenausschusses zur „bloßen Show-Veranstaltung“ degradiert wird.
Man wolle die Erkenntnisse der heutigen Anhörung abwarten, erklärte auch Wrocklage-Sprecher Peter Mihm gestern den Aufschub bis Ende März. „Bis dahin haben wir uns auch eine Meinung gebildet“. Doch der Teufel steckt wie immer im Detail. Laut Schnoor-Sprecher Ludger Harmeier ist es einheitliche Position der SPD-Länder, zumindest die Auswertung der Anhörung abzuwarten. Und die ist erst für den 26. April vorgesehen. Auch vom Kieler Innenministerium war gestern zu hören, daß man die Auswertung abwarten wolle.
„Hamburg spekuliert darauf, die Anhörung als Alibi zu nutzen, um dann doch abzuschieben“, befürchtet Dirk Hauer, ausländerpolitischer GAL-Referent. Dies würde die unsägliche Tradition Hamburgs in der Kurdenpolitik fortsetzen, das im August 1992 bereits einmal als erstes Land einen bundesweiten Abschiebestopp aufkündigte. Hauer kritisiert auch die Politik des Senats „bis zur letzten Sekunde mit verdeckten Karten zu spielen“. So hatte Wrocklage sich in der jüngsten Bürgerschaftsdebatte Anfang März selbst auf Nachfrage der mitregierenden Statt-Partei geweigert, zu sagen, wie es mit den Kurden nach dem 15. März weitergehen soll.
Als „lächerlich“ und „der Menschenrechtslage in der Türkei absolut unangemessen“, bezeichnete gestern auch Gaby Gottwald vom Arbeitskreise Asyl die kurze Frist. Der jüngste amnesty-Bericht von Februar'95 dokumentiere, daß dort gefoltert wird. Die ständige „Stop-and-go-Politik in punkto Abschiebestopp“, so Gottwald weiter, sei für die Betroffenen „psychisch eine Zumutung“.
Wieviele Kurden in Hamburg von Abschiebung bedroht sind, war gestern nicht zu erfahren. Statistisch erfaßt wird nur die Zahl der abgeschobenen Türken insgesamt – 1994 waren es 528.
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