: Ein Jahr danach – und alle Fragen offen
Am 18. Januar 1996 starben in Lübeck zehn Menschen bei einem Brandanschlag. Seit vier Monaten wird einem Verdächtigen ein Prozeß gemacht, der wenig erhellt ■ Von Elke Spanner
Der Angeklagte
Würde Safwan Eid nicht stets auf der Anklagebank sitzen und hochkonzentriert das Geschehen verfolgen, nichts ließe mehr erahnen, daß über ihn verhandelt wird, wenn sich zweimal pro Woche die Jugendstrafkammer des Lübecker Landgerichtes im Saal 163 einfindet. Denn der Name des Libanesen tauchte nur zu Beginn des Prozesses im September vorigen Jahres auf, als der Rettungssanitäter Jens L. erzählte: „Safwan Eid hat mir gegenüber gestanden: Wir warn's.“ Seither wird nach Brandstellen, Rettungswegen und der Feuerausbreitung geforscht – was die Tat rekonstruieren soll, keine Aussage jedoch über Safwan Eid trifft.
Allein ein Motiv könnte die Annahme der Staatsanwaltschaft, das Feuer sei innerhalb des Hauses gelegt worden, mit Safwan Eid in Verbindung bringen. Der nämlich wird beschuldigt, am 18. Januar 1996 die Flüchtlingsunterkunft in der Lübecker Hafenstraße angezündet zu haben. 10 Menschen starben bei dem Feuer. Die 38 Überlebenden wurden verletzt – zum Teil schwer und mit bleibenden Schäden.
Heute jährt sich der Tag der Brandkatastrophe zum ersten Mal. Doch die Antwort auf die entscheidende Frage ist immer noch offen: Wer entzündete das tödliche Feuer in der Lübecker Hafenstraße 52?
Der Brandausbruchsort
Ein tragender Bestandteil des Verdachts der Staatsanwaltschaft gegen Eid ist die These, der Brand sei im ersten Stock der Flüchtlingsunterkunft ausgebrochen – wo ihn nur jemand aus dem Haus gelegt haben könnte. Die Flammen hätten dann die Holztreppe zum zweiten Stock erfaßt. Als diese schließlich zusammenstürzte, hätten brennende Holzteile den hölzernen Vorbau entzündet. Die Verteidigung Eids dagegen vermutet dort den Brandherd und einen Anschlag von außen.
Die ersten ZeugInnen sahen alle das Feuer zunächst dort, wo sie es von ihrem damaligen Standpunkt aus auch nur sehen konnten. Feuerwehrleute und PolizistInnen im ersten Stock, NachbarInnen dagegen im Vorbau.
Doch dann betrat der Feuerwehrmann Rainer Steffen den Gerichtssaal, und die Prozeßbeteiligten horchten auf. Steffens Einsatzwagen war der erste am Brandort. Gegen 3.47 Uhr begann er mit den Löscharbeiten – und zwar im hölzernen Vorbau, der nach seiner Aussage lichterloh brannte. Er drang ein und löschte zunächst von innen.
Dann kommt Steffen zum entscheidenden Punkt: Er wagte sich noch weiter ins Haus hinein. Dabei habe er über sich Flammen gelöscht. Über ihm aber war die hölzerne Treppe. Auch bestätigte er, daß er beim Vordringen ins Haus nicht über brennende Holzteile steigen mußte. Offenbar war also die Treppe über ihm zu dem Zeitpunkt noch nicht eingestürzt – und kann somit kaum den Vorbau in Brand gesetzt haben.
Das Tatmotiv
„Wir hatten Streit mit einem Familienvater.“. Deshalb hätten „wir“ ihm Benzin vor die Tür gekippt und angezündet. Der Familienvater: Gustave Soussou. So sieht es die Anklage, so schrieb sie es schon in den Haftbefehl gegen Safwan Eid vom 20.1.96.
Gustave Soussou wurde am Tag zuvor von der Polizei vernommen. Die Protokolle darüber berichten nicht, daß er in Togo Kinder hat und Familienvater ist. Sie berichten auch nicht von einem Streit, den er mit Safwan Eid gehabt habe, sondern verneinen diesen. Dennoch schrieb Staatsanwalt Michael Böckenhauer all dies einen Tag später in seinen Haftbefehlsantrag – wider besseres Wissen.
Doch ohne Streit kein Tatmotiv für Safwan Eid, und wenn schon die Streitparteien nicht gestritten haben wollen, gab es vielleicht wenigstens Streitzeugen? Eifrig ging die Staatsanwaltschaft auf die Suche, befragte alle ehemaligen BewohnerInnen akribisch zur Stimmung im Haus – und glaubte am 13. November, fündig zu werden. Denn Assia El Omari sagte aus, sie habe in der Brandnacht laute Stimmen im Haus gehört. Safwan Eid erwähnt sie nicht. Und sie berichtet weiter, es sei „Afrikanisch“ gesprochen worden. Safwan Eid spricht wie sie selbst arabisch.
Alle anderen HausbewohnerInnen betonen ein unpersönliches, aber harmonisches Zusammenleben in der Hafenstraße.
Die Grevesmühlener
Vier Jugendliche aus Grevesmühlen wurden am Tag nach dem Feuer festgenommen. Sie hatten Sengspuren im Gesicht und an den Haaren. Drei von ihnen wurden in einem beigen Wartburg am Brandhaus angetroffen. Zwei Tage später kommen sie frei: Alibi, heißt es.
Das Alibi schien sich in der Hauptverhandlung zu bestätigen. Der Polizist Borkowsky, in der Brandnacht im Einsatzwagen Trave 2/12 unterwegs, sagte aus: „Ich habe den Wartburg gegen 3.30 Uhr an einer Shell-Tankstelle gesehen.“ Die Tankstelle ist 15 Kilometer von der Hafenstraße entfernt. Borkow-sky beschreibt den Wagen: Beige, auffälliger Aufkleber.
Kurz darauf erhielt Trave 2/12 die Nachricht vom Brand. Auf der Fahrt zur Hafenstraße, so schildert Borkowsky dem Gericht, habe er den beigen Wartburg noch einmal überholt. Von einem auffälligen Aufkleber ist nun keine Rede mehr. Trotzdem ein Alibi?
Es könnten mehrere Wartburgs unterwegs gewesen sein. Denn ebenfalls um 3.30 Uhr wollen Arbeiter einer neben der Flüchtlingsunterkunft gelegenen Firma einen beigen Wartburg vor der Hafenstraße 52 gesehen haben. Kurz darauf trifft der Bundesgrenzschutz ein, entdeckt das Auto mit drei Insassen. Einen Aufkleber sehen weder die BGSler, noch ist er den Arbeitern aufgefallen.
Auch der Grevesmühlener Dirk T. war in der Nacht in Lübeck. Auch er weist Sengspuren auf. Niemand behauptet, er wäre vor dem Haus gewesen, und niemand behauptet, er wäre an der Shell-Tankstelle gesehen worden. Dennoch wurde er in das „Alibi“ von der Staatsanwaltschaft „eingemeindet“ – trotz Sengspuren an Augenbrauen und Lidern.
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