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■ Sozialistische Partei oder Ost-CSU? Die PDS sucht noch immer nach einem Profil. Interview mit Joachim Raschke„Der PDS fehlen zündende Ideen“

taz: Herr Raschke, ist es der PDS auf ihrem Parteitag in Schwerin gelungen, sich selbst koalitionstauglich zu machen?

Joachim Raschke: Es kommt darauf an, welche Ebene man ins Auge faßt. Ich habe den Parteitag so verstanden, daß sie sich innerparteilich für eine Regierungsbeteiligung mit der SPD in Mecklenburg-Vorpommern vorbereitet hat. Inhaltlich war der Parteitag eher enttäuschend.

Aber die PDS ist dabei, politikfähige Konzepte zu entwickeln. Ist das nichts?

Für die westdeutsche Linke ist die PDS inhaltlich uninteressant. Sie hat ihr Monothema Sozialprotest – und sonst nichts.

Immerhin hat die PDS erklärt, in den Ländern mitregieren zu wollen und in Bonn zur Ablösung der Regierung Kohl beizutragen.

Ja. Aber SPD und Grüne haben sich der PDS gegenüber auf eine schärfere Abgrenzung als 1994 festgelegt, weil sonst Teile der eigenen Mitgliedschaft rebellieren würden. Das hat der Übertritt der Bürgerrechtler zur CDU schon angedeutet.

Wie würden Sie die PDS beschreiben – als Rote-Socken-Partei oder als CSU des Ostens?

Zunächst immer noch als ostdeutsche Regionalpartei, wobei die bunten Elemente schwächer werden. Bestimmt wird die Partei inzwischen von früheren FDJ-Kadern der mittleren Generation, die das Repressionssystem der DDR mitgetragen haben, aber auch an die Veränderbarkeit des Sozialismus glaubten. Die zeichnen sich nicht durch große inhaltliche Flexibilität aus.

Woran machen Sie diese Starrheit fest?

Für mich als Westler war Schwerin ziemlich langweilig. Ein Parteitag ohne Ausstrahlung, ohne Redekultur und ohne Mut, die Widersprüche offen zu thematisieren.

Welche Widersprüche?

Über Fragen der Vergangenheit, also der Demokratie. Aber auch über solche, die nicht nur negativ auf die CDU antwortet – Stichwort Umverteilung von oben nach unten –, sondern die die Modernisierung des Staates oder die wissenschaftlich-technischen Innovationen aufgreifen. Solche Themen fehlen der PDS.

Die PDS sieht sich als einzige Partei, die den Sozialabbau schonungslos zum Thema macht.

Ja, aber zugleich markiert dies den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Parteiströmungen, von den Reformern bis zu den Stalinisten. Außerdem ist dieses programmatische Minimum die Chance der PDS, sich positiv gegenüber der SPD zu profilieren.

Als anmaßend empfindet die PDS, immer wieder auf ihr Erbe, auf ihre Vergangenheit festgenagelt zu werden – schließlich finde die Auseinandersetzung ja statt.

...aber nur ritualisiert. Das sieht man bei emotionslos vorgetragenen Schuldbekenntnissen. Das zeigte auch die Rede von Lothar Bisky: Applaudiert wurde nicht als er über die eigene Vergangenheit sprach, sondern als er anmerkte, daß die PDS-Vergangenheit von der CDU instrumentalisiert wird.

Welche Perspektive hat die PDS im Osten?

Dort kann sie sich auch mit einer völlig inhaltslosen Sozialismusformel noch länger halten – als regionale Partei. Die Westöffnung ist aus Desinteresse des Publikums gescheitert. Die Rückzugstendenzen nehmen eher zu.

Woran machen Sie das fest?

Zum Beispiel daran, daß man sich nur begrenzt und halbherzig dem ökologischen oder feministischen Diskurs geöffnet hat.

Ihre Einschätzung klingt so, als hätte Kohl recht. Er sagt: Die PDS wird ganz von allein irgendwann von der Bühne verschwinden.

In Ostdeutschland wird diese Entwicklung noch mindestens zehn Jahre dauern. Aber auch dort hat sie ihren Kulminationspunkt überschritten. Sie sehen das an den Mitgliederzahlen. Die alten Genossen sterben, aber es kommen kaum junge hinzu. Das ist für die PDS existentiell: Denn anders als die Grünen lebt sie ja als Organisationspartei. Sie ist auf viele Aktive angewiesen.

Hat also der Abstieg der PDS begonnen?

Vermutlich. Obgleich sie ja noch von 20 Prozent im Osten gewählt wird. Dieses Kapital zu verspielen dauert lange.

Vorläufig geht es Bisky & Co. darum, den Beschluß, mitregieren zu wollen, auch umzusetzen.

Sicher – und genau diese Erfahrung fehlt der PDS. In der Regierung sieht man die Probleme einer Gesellschaft in einem ganz anderen Licht. Und dann ginge man auch in die westdeutsche Gesellschaft hinein: Verantwortung zu übernehmen für die Probleme eines ganzen Landes.

Aber mit der PDS will doch niemand Politik machen.

Es ist schwer zu klären, wie weit dies an den anderen oder an der PDS selbst liegt. Aber die Reformer haben versäumt, ein oder zwei zuspitzende Modernisierungsideen zu entwickeln. Damit hätten sie, über die Vergangenheitsbewältigung hinaus, auch im Westen Interesse geweckt.

Aber das hätte zu einer Zerreißprobe in der PDS geführt. Was würden Sie den Reformern raten?

Mehr Risiko. Bei den Grünen hat es sich gelohnt. Die Realogruppe hat die Zuspitzung gewagt: Nachdem die Ökosozialisten um Thomas Ebermann und die Fundamentalisten um Jutta Ditfurth ausgeschieden waren, sind die Grünen politikfähiger geworden. Hätten die Realos nicht auf Streit, sondern Integration gesetzt, wäre das Interesse an dem grünen Projekt geschwunden.

Diese Strategie hat den Preis gekostet, daß die Grünen kaum mehr als Oppositionspartei wahrgenommen werden.

Trotzdem haben sie nach der Trennung von den Radikalen nur gewonnen. Der Verlust der Fundis war verschmerzbar – Visionen oder Ideen haben sie nicht mitgenommen.

Und die PDS-Reformer?

Von denen wird diese parteiinterne Zuspitzung unterschätzt. Aber nur so kann man gesellschaftlich auch gewinnen – eine programmatische Idee vorausgesetzt. Auch die SPD hat in den fünfziger Jahren durch Konfliktprozesse sich ihre Regierungsfähigkeit erkämpft.

Bedeutet dies, daß die PDS mitregieren muß, um sich verändern zu können?

In Ostdeutschland auf jeden Fall.

Um die PDS zu entzaubern?

Ja, aber das ist vom Gegner her gedacht. Regieren heißt, sich mit den realen Problemen einer Gesellschaft praktisch auseinandersetzen zu müssen. Diese Erfahrung würde auch in die Partei zurückwirken – und das wäre nur fruchtbar. Interview:

Jan Feddersen/Jens König

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