Sprache, Streit, etc.: Der Flickenteppich der Nation
■ In Großstädten wie San Francisco oder L.A. ist Mehrsprachigkeit der Normalzustand
Das Volk soll mit einer Zunge sprechen, fand schon Benjamin Franklin, weswegen ihn die Töne aus dem Munde deutscher Einwanderer in den damaligen Kolonien störten. Englisch sollten sie reden.
Englisch sollen sie reden, fordert heute der republikanische Abgeordnete Bill Emerson, weshalb er eine Gesetzesvorlage formuliert hat, die Englisch endlich zur offiziellen Amtssprache der USA machen soll. Damit dürfte der Abgeordnete aus dem Bundesstaat Missouri ebensowenig Erfolg haben wie seine Amtsvorgänger, die entsprechende Anträge in den achtziger Jahren durchzusetzen versuchten. Mehrsprachige Wahlzettel und Behördenformulare sind in der amerikanischen Rechtsprechung und in der Realität ebenso verankert wie Bundesmittel für Englisch als zweite Sprache an öffentlichen Schulen. In Kalifornien, wo inzwischen 31 Prozent der Bewohner Englisch nicht als Muttersprache angeben, kann das die Resourcen einer Schulverwaltung gehörig strapazieren. In Großstadtbezirken wie Los Angeles oder San Francisco müssen Unterrichtsmaterialien und Lehrer für Schüler aus über hundert verschiedenen Ländern und Sprachräumen bereitgestellt werden: Von Spanisch und Deutsch über Chinesisch, Koreanisch und Farsi bis zu Kreolisch (Haiti) oder Mon-Khmer (Kambodscha).
Nach Ansicht von Anhängern der „English Only“- oder „English First“-Bewegung wie Bill Emerson (über)strapaziert diese Vielfalt nicht nur den öffentlichen Haushalt, sondern auch die nationale Identität. „Die gemeinsame Sprache“ sei das Bindemittel, das aus diesem Flickenteppich eine Nation mache, Immigranten assimiliere und Konflikte entlang sprachlicher Gräben verhindere. Warnend wird immer wieder auf das Beispiel des Nachbarn Kanada verwiesen, wo die Abspaltung der frankophonen Provinz Quebec wohl nur eine Frage der Zeit ist. Warnend deutet man auch auf die wachsende Zahl von US-Einwohnern, für die Englisch eine Fremdsprache ist: Waren es 1980 noch 23 Millionen, so zählte das US Census Bureau 1990 32 Millionen – rund 14 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Allerdings deutet nichts darauf hin, daß die Immigranten heutzutage langsamer oder widerwilliger Englisch lernen als die Einwanderergenerationen in den Jahrzehnten zuvor. Die Forderung von Immigranten nach mehrsprachigem Schulunterricht für ihre Kinder hat – entgegen den Befürchtungen konservativer Politiker und Intellektueller – weit mehr mit dem Anspruch auf Chancengleichheit für den Nachwuchs als mit der Sehnsucht nach einer Identität als Minderheit zu tun. „Der Einwanderer, der seinen Vater und seine Muttersprache vergißt“, schreibt der Schriftsteller und Intellektuelle Richard Rodriguez, „ist das beste Beispiel für das, was Amerika bedeutet: ein Ort der Erneuerung, des Wandels, der Amnesie.“
Die Abstempelung als Minderheit besorgt trotz gesetzlicher Verpflichtung zu bilingualem Unterricht immer noch das Schulsystem: Indem es Kinder von Immigranten aufgrund mangelnder Englischkenntnisse in special education classes – in Sonderschulklassen für Lernbehinderte – abschiebt. Dahinter verbirgt sich eine Problemkette aus schlechtem Lehrangebot, demotivierten Schülern und immer tiefer sinkenden Anforderungen – jener Teufelskreis eben, der auch hinter der jüngsten Debatte um „Ebonics“ steckt. Ob man schwarzes Englisch als eigene Sprache oder einfach als Dialekt einordnet – fest steht, daß eine große Anzahl schwarzer Kinder ein Englisch gelernt hat, das mit der Grammatik der Schulbücher und den rhetorischen Konventionen der Arbeitswelt wenig gemein hat und sie auch mit Abschlußzeugnis oft als funktionale Analphabeten aus der Schule entläßt. Das, so schreibt der Kommentator Frank Rich in der New York Times, müßte eigentlich die Gemüter empören. „Doch statt uns mit der Katastrophe in den Schulen der Großstädte zu befassen, lassen wir uns lieber von einer hirnlosen Debatte über Ebonics ablenken. Ist ja auch viel unterhaltsamer.“ Andrea Böhm
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