: 150 PsychologInnen vor dem Aus
■ Bremerin mußte in die Klinik, weil Kassen den Kreis der Bremer Therapeuten einschränken
Es steht schlecht um das bremische Seelenheil. Das zumindest meinen viele Bremer PsychotherapeutInnen. Und es steht schlecht um deren Existenz. Denn nach den harten Kostendämpfungs-Bestimmungen im Gesundheitswesen haben sich Bremer Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigung auf ein neues Verfahren bei der Finanzierung von Psychotherapien geeinigt. Effekt: Rund 150 PsychotherapeutInnen können die Behandlungen nicht mehr über die Kassen abrechnen und stehen vor dem Ruin. Und noch ist kaum absehbar, was das für Therapiesuchende bedeutet. Nach groben Schätzungen des Psychotherapeutenverbandes sind bei den 150 zukünftigen Ex-Therapeuten rund 2.000 BremerInnen in Behandlung, weil die Praxen der abrechnungsberechtigten TherapeutInnen voll sind. Sie versorgen rund 40 Prozent aller BremerInnen in Therapie. Sollte das tatsächlich der Bedarf in der Stadt sein, dann werden ganze Hundertschaften dringend behandlungsbedürftiger BremerInnen in Zukunft monatelang auf einen Therapieplatz warten – oder schlimmstenfalls in der Psychiatrie landen. Der taz liegt die akribische Dokumentation eines ersten Falles vor.
Ende Oktober letzten Jahres spricht eine Frau bei einer Bremer Therapeutin vor. Sie leidet unter starken Ängsten und Depressionen und sucht dringend Hilfe. Die Frau hat schon eine wahre Odysse hinter sich. Ihre Hausärztin hat sie an drei ärztliche Therapeutinnen verwiesen, die die Therapien als „Vertragsbehandler“ der Kassen problemlos abrechnen können. Doch alle drei geben an, daß sie erst Monate später einen Therapieplatz anbieten könnten. So lange kann und will die Frau, der das Wasser bis zum Hals steht, nicht warten. Also wendet sie sich ans Frauentherapiezentrum, wo sie bei einem Beratungsgespräch eine neue Liste von TherapeutInnen bekommt. Nach zehn erfolglosen Anrufen, bei denen ihr wieder Wartezeiten von bis zu einem Jahr offeriert werden, landet sie schließlich bei eben jener Therapeutin. Doch auch da hat sie wieder Pech. Die Therapeutin hat zwar einen Platz frei, doch just zu diesem Zeitpunkt haben KAV und Kassen ihren Kostendämpfungsbeschluß gefaßt: Die Kasse der Patientin, die AOK, verweigert die Kostenübernahme. Daran ändern auch dramatische Telefonate der Patientin und der Ärztin mit der Kasse nichts.
Die nun vollends verzweifelte Frau beschließt sich umzubringen, startet zuvor allerdings noch einen „Notruf“. Ihre Hausärztin reagiert sofort und organisiert einen Platz beim ZKH Ost – wo der Notfall allerdings auf eine Wartezeit von vier bis sechs Wochen vertröstet wird. In der Zwischenzeit geht die Frau zweimal wöchentlich zu „Krisengesprächen“ zu ihrer Hausärztin. Mittlerweile ist sie in der Klinik gelandet. Neben der menschlichen Tragödie ein gesundheitspolitischer Irrsinn. Ein Klinikaufenthalt dauert in der Regel drei Monate, der Pflegesatz liegt bei rund 450 Mark pro Tag. Macht rund 40.000 Mark, viermal teurer als eine ambulante Therapie über zwei Jahre. Dazu muß die Kasse Krankengeld bezahlen, der Arbeitgeber der Frau muß auf seine Mitarbeiterin verzichten, und nach dem Klinikaufenthalt steht ohnehin eine längere Therapie an.
Der Hintergrund: Im Oktober letzten Jahres hatten sich die Bremer Kassen und die Kassenärztliche Vereinigung zu einem Krisengipfel getroffen. Das Problem: Mit der Gesundheitsreform wurde das Budget der KassenärztInnen gedeckelt. Und das ist mit den Indikationen für eine Psychotherapie ziemlich belastet. Die Lösung: Weniger Therapien über eine Veränderung der Abrechnungsmodalitäten.
Fortan sollen nur noch die rund 150 ärztlichen TherapeutInnen und rund 110 PsychologInnen mit den Kassen abrechnen können, die als „Vertragsbehandler“ gelten. Die sollen nach den Abrechnungsrichtlinien ohnehin die psychotherapeutische Versorgung sicherstellen. Aus dem Geschäft sind die rund 150 TherapeutInnen, die zwar in den Richtlinien nicht vorgesehen sind, aber in den letzten Jahren auch mit den Kassen abrechnen konnten – darunter die Therapeutin, die im konkreten Fall der hilfesuchenden Frau helfen konnte und wollte. Offensichtlich war der Bedarfsdruck auf die VertragsbehandlerInnen in den letzten Jahren so groß und deren Wartezeiten so lang, daß sich die Kassen entschlossen hatten, den Kreis der BehandlerInnen zu erweitern. Und nun wird er wieder eingeengt.
Kassen und KAV haben sich ganz auf die Buchstaben des Gesetzes zurückgezogen. Wer eine Therapie braucht, muß sich an die VertragsbehandlerInnen wenden und Wartezeiten zwischen einem halben Jahr und drei Jahren in Kauf nehmen. Die Begründung: Die VertragsbehandlerInnen reichen zur Versorgung aus. Viele Therapien, die darüber hinaus bislang finanziert worden sind, seien unnötig gewesen. „In diese Grauzone soll Transparenz rein“, sagt Klaus
Stratmann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Bremer KAV. „Ich habe bislang keine Fälle auf dem Tisch, wo den Leuten nicht geholfen worden wäre.“ J.G.
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