piwik no script img

■ SPD: Henning Voscherau will Wende in der DrogenpolitikHeroin vom Staat?

Eine Wende in der Drogenpolitik? Wer das öffentlich fordert, wie Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau und ein Dutzend Polizeipräsidenten, glaubt an die Macht rationaler Argumente. Dafür spricht: Die Drogenmafia würde, wenn nicht ruiniert, so doch ausgetrocknet, es gäbe nur noch Alkohol-, aber keine Herointoten, Süchtige könnten ein menschenwürdiges Leben führen, die Beschaffungskriminalität würde erheblich sinken. Und die Polizei könnte sich wichtigeren Dingen zuwenden, als verelendete Junkies durch die Großstädte zu jagen.

Dagegen spricht, daß Drogenpolitik stets symbolisch aufgeladen war. Seit dem Neolithikum haben Menschen Drogen aller Art genommen. Und jede Droge stand seitdem schon einmal auf dem staatlichen Index, von Kaffee und Alkohol bis zum Kokain. Das weiß jeder, auch, daß Heroin und Kokain keine exotischen Substanzen, sondern von deutschen Pharma-Firmen erfunden und in alle Welt exportiert worden sind. Und daß hierzulande Cannabis verboten (und Nikotin erlaubt) ist, hat nichts mit realer Gefahr zu tun, sondern ist ein historischer Zufall.

Die Verfechter einer restriktiven Linie – wie der Bundesdrogenbeauftragte Eduard Lintner – sind rationalen Argumenten indes nicht zugänglich. Sie treibt der Wunsch an, dem altbösen Feind Einhalt zu gebieten. Drogen dienen als materielles Substrat einer gesellschaftlichen Norm: Wer die Finger davon läßt und ein ordentliches Leben führt, beweist Sauberkeit, Selbstbeherrschung und Disziplin. So ist dies das letzte Gebiet auf dem sich der säkulare Staat anmaßt, den BürgerInnen moralische Vorschriften zu machen. Wer Fellatio verbieten wollte, würde sich lächerlich machen. Und wer hingegen vorschreibt, ob ich Nikotin, Haschisch oder gar nicht rauche, ist ein Suchtexperte und/oder Drogenpolitiker.

Immerhin hat Henning Voscherau aus den fruchtlosen Diskussionen der letzten zwanzig Jahre etwas gelernt: Er spricht nicht mehr von „Drogenfreigabe“. Mit der Vokabel „frei“ kann man in der öffentlichen Diskussion in Deutschland keine Lorbeeren ernten. „Kontrollierte Abgabe“ von Drogen meint zwar dasselbe, läßt aber die Politiker in dem Glauben, immer noch etwas zu kontrollieren. Ohne dieses Gefühl werden weder Therapeuten noch Politiker je etwas an der deutschen Drogenpolitik ändern. Burkhard Schröder

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen