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Zahlreiche Gedenkfeiern für Opfer des NS-Terrors

■ Im Bundestag warnten Rita Süssmuth und Klaus von Dohnanyi vor dem Vergessen. Überlebende legten Kränze in ehemaligen Konzentrationslagern nieder

Bonn (AP/rtr/taz) – Der frühere Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi hielt gestern im Bundestag die Hauptrede zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. In seiner Rede warf er die Frage auf, ob die Menschen von heute noch „fühlen“, was die Verbrechen der Nazis bedeuteten, auch wenn sich viele mit dem „Kopf“ erinnerten. „Die Trauer über das Leid“ der Opfer müsse gegenwärtig sein, sagte der Politiker, dessen Vater Hans von Dohnanyi als Widerstandskämpfer 1945 von den Nazis ermordet wurde. Denn es habe sich immer um Einzelschicksale gehandelt, nicht nur um „große Zahlen“. Dohnanyi warnte davor, „Naziherrschaft und Holocaust in Gebäuden aus Täternamen und Opferzahlen“ abzuriegeln. Daran müsse auch bei der Errichtung einer Holocaust-Gedenkstätte gedacht werden. „Sie muß mehr sein als eine zu Stein gewordene Aufzählung der Opfer. Sie muß uns anrühren und erschüttern.“

Dohnanyi betonte in seiner Rede im gut besetzten Bundestag, daß die deutschen Verbrechen und der Holocaust noch Jahrhunderte im Gedächtnis anderer Völker bleiben werden. Insbesondere gegenüber Osteuropa hätten die Deutschen noch eine schwere Schuld abzutragen. Auf die Bringschuld der Bundesregierung, nämlich endlich Renten oder eine individuelle Entschädigung für die ost- und mitteleuropäischen Opfer des Nationalsozialismus zu bewilligen, ging weder von Dohnanyi noch Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth ein. Sie insistierte, daß man um der „Gegenwart und Zukunft willen“ die Vergangenheit nicht vergessen dürfe. „Das schulden wir den Opfern und uns selbst.“

Der von Bundespräsident Roman Herzog vor zwei Jahren proklamierte Gedenktag wurde gestern in vielen Städten und Stätten begangen. In den ehemaligen Konzentrationslagern Sachsenhausen, Ravensbrück, Groß-Rosen, auf dem Gelände der Deutschen Waggonfabrik in Bautzen, im thüringischen Mittelbau-Dora legten Überlebende Kränze nieder. In Sachsenhausen wurde eine Gedenktafel für die 183 Professoren aus Krakow errichtet, die im Konzentrationslager ermordet wurden. Vor den Betrieben des Elektronikkonzerns Bosch verteilte die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) Flugblätter, in denen an die Zwangsarbeiter in den Rüstungsbetrieben erinnert wurde. In Schleswig-Holstein ließ das Innenministerium alle Flaggen auf halbmast setzen. Das Kultusministerium hatte die Schulen aufgefordert, das Thema Judenmord im Unterricht zu behandeln. Eine gleiche Aufforderung erging vom niedersächsischen Ministerium. Im Bundestag diskutierten am späten Nachmittag 200 Jugendliche mit Politikern über Lehren, die die Deutschen aus den Nazijahren zu ziehen hätten. aku

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