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Junge sind "zu allem bereit"

■ In Lushnja, dem Epizentrum des Aufruhrs in Albanien, wird der festgenommene Finanzakrobat Rrapush Xhaferri vergöttert. Die Wut der Geprellten richtet sich gegen die Regierung Aus Lushnja Thomas Schmid

Junge sind „zu allem bereit“

Klapprige Pferdewagen rumpeln über die Straße, zwei Jungen versuchen eine Schafherde zusammenzuhalten, ein Alter zerrt seine Kuh hinter sich her, und ein herrenloser Esel trottet in der Straßenmitte, als wär das Automobil noch nicht erfunden. Die Fahrt in den Süden Albaniens ist ein Ausflug in die Vergangenheit. Doch die Männer, die hinter der Kurve auf die Straße springen, sind keine Wegelagerer, wie sie den Balkan jahrhundertelang heimsuchten. Auch keine Guerilleros, wie man aus den schwarzen Strumpfmasken schließen könnte. Sie sind Soldaten einer Sondereinheit der Armee – Maschinenpistole im Anschlag. Wir befinden uns am Ortseingang von Lushnja, dem Epizentrum des Aufruhrs, der Albanien in die wohl tiefste Krise seit dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktatur (1991) gestürzt hat.

Nur noch die verrußten Karosserien der Lastwagen, die nun verloren am Straßenrand stehen, zeugen von den Barrikaden, die tagelang jeden Verkehr zwischen der südlichen und nördlichen Landeshälfte unterbunden haben. Bevor das Parlament die Armee zum Einsatz freigab, war Außenminister Tristan Shehu persönlich nach Lushnja gekommen, um mit den Leuten zu reden. Doch die stopften ihm den Mund mit einer Zwiebel, malträtierten ihn mit Eisenstangen und sperrten ihn in eine Umkleidekabine des Fußballstadions. Dann schlugen sie einen Gefangenenaustausch vor. Sie forderten die Freilassung Rrapush Xhaferris. Der befindet sich seit bald zwei Wochen in der Hauptstadt hinter Gittern. Mit zum Schluß 300 Prozent Zinsen in drei Monaten hatte er rund 300.000 Menschen geködert, die ihre Ersparnisse bei seiner „Stiftung für Volksdemokratie“ anlegten. In Erwartung des Bankrotts dieser „Pyramide“ (siehe Kasten) beschlagnahmte die Regierung sein Konto bei der staatlichen Handelsbank in Höhe von 265 Millionen Dollar.

In Lushnja hat Xhaferri vor etwas mehr als drei Jahren sein Werk der Wohltätigkeit, wie er zu sagen pflegt, begonnen. Hier nennen sie ihn alle nur den „General“. Weshalb, kann niemand mit Sicherheit sagen. Vielleicht weil er sich auf seinem Visitenkärtchen, von denen hier jede und jeder eins hat, als Generalpräsident seiner Stiftung präsentiert. Armeeoffizier war er jedenfalls nie. Der ehemalige Buchhalter hat die Herzen der kleinen Leute im Sturm erobert. Er kaufte für den örtlichen Fußballclub Kicker aus Nigeria und Brasilien ein, als Trainer holte er sich den Argentinier Mario Kempes, der bei der WM 1978 zum besten Fußballer gekürt worden war. Ansonsten brachte er sich dadurch ins Gespräch, daß er in Not geratenen Leuten Geld zusteckte – natürlich in einer Art und Weise, daß es alle erfuhren.

„Wenige Tage vor seiner Festnahme hat er ein Festmahl für die Jugend des ganzen Viertels gegeben“, sagt Skender Godo, der drei Jahre lang, zuerst illegal, dann legal, als Bauarbeiter, Kellner und Olivenpflücker in Griechenland gearbeitet hat und sämtliche Ersparnisse bei Xhaferri angelegt hat. „270 Teller wurden aufgetragen, und ein Gratis-Konzert gab es dazu.“ Nicht einer in der Traube, die sich auf dem Hauptplatz der Stadt um den Fremden bildet, der seine Ersparnisse nicht dem „General“ anvertraut hätte. Ein ehrlicher Mann sei der Xhaferri, bestätigen sie alle. Pünktlich habe er die versprochenen Zinsen bezahlt.

Doch die meisten haben den schnellen Gewinn auf dem Konto ruhen lassen, auf daß sich ihr Kapital noch schneller vermehre. So richtete sich denn ihr Protest auch nicht gegen den Finanzakrobaten, sondern gegen die Regierung, die diesen daran hindert, die Zinsen auszuschütten. Die Frage, ob sie sich denn auch am Barrikadenbau und an der Brandschatzung beteiligt hätten, löst nur Schweigen und schließlich ein alles sagendes Lächeln aus. „Heute nacht haben sie Dutzende aus ihren Häusern geholt“, erklärt Skender die Zurückhaltung. Doch der Stolz, in diesen Tagen als Avantgarde der Nation Schlagzeilen gemacht zu haben, wird kaum verborgen.

Agim Fuga hingegen hat für Xhaferri kein gutes Wort übrig. Ein Schurke sei der, ein Roter dazu. Der Bürgermeister von Lushnja, nebenbei auch Abgeordneter der regierenden Demokratischen Partei im nationalen Parlament, hat seinen Amtssitz in der Ruine des Rathauses. Wo früher Fenster waren, starren jetzt rußgeschwärzte Löcher. Hinter dem Aufruhr, in dessen Verlauf binnen weniger Tage in über einem Dutzend Städten öffentliche Gebäude in Flammen aufgingen, wittert er die Sozialistische Partei. Nicht zufällig seien als erstes die Kataster zerstört worden und die Unterlagen der Kommission, die über die Rückgabe von Ländereien zu bestimmen hatte. „Das waren nicht unsere Leute aus der Stadt, sondern Bauern der umliegenden Dörfer“, behauptet er, „aufgewiegelt von roten Terroristen.“

Melderegister, Steuerbescheide, alles ist zerstört. Wie verwaltet man eine Stadt ohne schriftliche Unterlagen, ohne Aktenordner und Hängeregister? Die 46 Angestellten des Rathauses kehren vorerst den Abfall zusammen, befestigen Treppengeländer und legen elektrische Leitungen. Von Festnahmen wisse er nichts, sagt der Bürgermeister. Er ist wohl der einzige in ganz Lushnja, der von den vermutlich 140 Verhaftungen in der Stadt nichts mitgekriegt hat.

Berat ist ein Juwel Albaniens. Die Geburtsstadt von Xhaferri liegt 40 Kilometer südlich von Lushnja. Hoch über dem Ort thront eine Burg, die ein ganzes Stadtviertel einschließt. Während der kommunistischen Diktatur Enver Hoxhas, der 1967 Albanien zum ersten atheistischen Staat der Welt ausrief, wurden überall im Land Gotteshäuser zerstört oder in Sporthallen umgewandelt. Hier in Berat hingegen steht noch eine Reihe gut erhaltener orthodoxer Kirchen aus dem 14. und 15. Jahrhundert mit wertvollen Fresken. Und auch die Moschee im Zentrum der Stadt wurde sorgfältig restauriert. Die Stadt zieht sich wunderschön auf beiden Seiten des Flusses die Hänge hoch. Die Fassaden der alten, übereinander geschachtelten Häuser bestehen fast nur aus Glas. Nicht umsonst heißt Berat auch „die Stadt der tausend Fenster“.

Doch im Zentrum sind die Fenster zu Bruch gegangen, und es riecht nach Verbranntem. Das Rathaus, die Präfektur, das Gericht, die Staatsanwaltschaft und das Polizeikommissariat wurden abgefackelt. Das Gespräch mit Miliko Jaho, der Bürgermeisterin, die ebenfalls der Regierungspartei angehört und auch Parlamentsabgeordnete ist, findet im Stehen statt – die Stühle waren aus Holz. Jaho spricht ausgezeichnet deutsch, und sie könnte es noch besser, wenn Enver Hoxha 1961 nicht mit Chruschtschow gebrochen hätte und sie deshalb ihr Architekturstudium in Leipzig hätte abbrechen müssen. Mit ihrem Urteil ist sie sehr zurückhaltend, sie wägt jedes ihrer Worte ab. Daß hinter der Revolte die Sozialistische Partei steckt, glaubt sie nicht. Aber daß die Opposition aus der Revolte politisches Kapital zu schlagen versucht, hält sie für normal in einer Demokratie. Die zahlreichen Festnahmen bestreitet sie nicht.

In Berat will kaum jemand mit dem Fremden reden. Die Angst, anerzogen in einem halben Jahrhundert Diktatur, frisch genährt durch die nächtliche Verhaftung von 150 Personen allein in dieser Stadt, ist überall zu spüren. Selbst das Büro der Sozialistischen Partei, die von Präsident Berisha öffentlich des Komplotts bezichtigt wird, ist vorsichtshalber geschlossen. Im ganzen Land sind schließlich zahlreiche Sozialisten polizeilich aus dem Verkehr gezogen worden, unter ihnen auch ein Mitglied der nationalen Parteiführung. Noch steht im Zentrum der Stadt eine verlassene Barrikade. Aber es herrscht Ruhe. „Doch wenn am 5. Februar nicht gezahlt wird“, sagt ein alter Mann, Sozialist, der sein Italienisch noch unter Mussolinis Besatzung gelernt hat, „wird es schlimm werden. Die Jungen sind zu allem bereit.“

Ministerpräsident Aleksander Meksi hat versprochen, am Mittwoch mit der Auszahlung der beschlagnahmten Gelder an die Gläubiger zu beginnen. Es sei genug Geld da, um allen ihre Einlagen zurückzuerstatten, hatte er auf dem Höhepunkt der Unruhen gesagt. Es reiche gerade, um ein Drittel der angelegten Gelder zurückzubezahlen, meint hingegen Zef Preci, Leiter des unabhängigen Zentrums für wirtschaftliche Studien. Wenn die Regierung alle Leute auszahlen wolle, müsse sie wohl Geld drucken. Und das heißt Inflation. Schon macht das Gerücht die Runde, ein Schiff aus dem italienischen Bari sei mit neuen Banknoten im Wert von 300 Millionen Dollar unterwegs.

Während Meksi nicht müde wird, zu betonen, daß alle ihr Geld zurückerhalten würden, schlägt Präsident Saliha Berisha bereits andere Töne an: Zunächst werde man nur in den dringlichsten Fällen Bargeld auszahlen, in allen anderen würden erst mal Zertifikate ausgestellt: zur Bestätigung des Anspruchs auf Geld. Schließlich könne man nicht 300.000 Leute an einem Tag auszahlen. Außerdem würde die erhöhte zirkulierende Geldmenge sofort einen Inflationsschub auslösen.

Werden sich die Leute aber mit Papieren zufriedengeben, die zudem von einer Regierung unterzeichnet sind, in die sie ohnehin jedes Vertrauen verloren haben? Der Frust ist groß und die Wut noch nicht verraucht. Doch diesmal sind Armee und Polizei vorbereitet. Die Männer mit den schwarzen Masken sind ein Signal.

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