: „Erlebnis“ der IG Chemie
■ Wie einer am Gesetz vorbei ganz legal Präsident der Arbeiterkammer wird
Kann ein Mitglied der IG Chemie Präsident der Arbeiterkammer werden? Warum eigentlich nicht, denkt der kleine Mann. Kann er eigentlich nicht, denkt der juristisch unverbildete kleine Mann nach einem Blick ins Gesetz. Da steht nämlich, § 8 Kammergesetz, ganz eindeutig als Wahlvorausetzung, daß die Vereinigung des Kandidaten „wesentliche Bedeutung für das Arbeitsleben im Lande Bremen“ haben muß, und „wesentliche Bedeutung“ setze „insbesondere eine Verwaltung der Organisation im Lande Bremen... voraus“. Letzteres hat die IG Chemie aber seit 1990 nicht mehr, weil damals die Gewerkschafts-Oberen davon ausgingen, daß man die paar IG Chemie-Mitglieder Bremens von der Verwaltungsstelle Oldenburg aus betreuen kann.
Bei der Arbeiterkammer sieht man derweil kein Problem. 1993, sagt der Bremer Hausjurist, habe man das Problem beraten und den „Buchstaben des Gesetzes“ angeschaut und sei zu dem Schluß gekommen, daß es für das gesetzliche Kriterium „Verwaltung der Organisation im Lande Bremen“ ausreiche, wenn die Gewerkschaftsmitglieder regelmäßig ein echtes „Verwaltungserlebnis“ im Lande Bremen haben könnten. Und dies sei durch den Schritt eines Sekretärs über die Landesgrenze gewährleistet. Damals, 1993, habe es keinen Einspruch gegen die Wahl des IG Chemie-Mitgliedes Manfred Siebert in die „Vollversammlung“ der Arbeiterkammer gegeben, damit sei die Sache klar.
Auch der Justitiar der Angestelltenkammer erinnert sich: „Das ist ein Punkt, über den wir schon einmal sehr gestritten haben“ unter Juristen und Gewerkschaftern. „Mehrheitsmeinung“ sei gewesen, daß diese Anforderung des Gesetzes „Verwaltung der Organisation im Lande Bremen“ für kandidierende gewerkschaftsähnliche Vereinigungen gelte, nicht aber für Gewerkschaften.
Als 1979 der Passus gegen FDP und CDU-Kritik in das Gesetz eingefügt wurde, war die Begründung des SPD-Abgeordneten Arno Weinkauf im Parlament allerdings eindeutig: Als Vertreter der Kammer könne nur effektiv arbeiten, wer auch „Unterstützung und Rückkopplung zu einer Organisation“ habe, „die für das Arbeitsleben im Lande Bremen eine wesentliche Bedeutung hat“, sagte der SPD-Vertreter damals.
Gleichzeitig werde mit dem Kriterium die „gewünschte und geforderte Zusammenarbeit der Arbeitnehmerkammern mit diesen Organisationen gesichert“. Die SPD wollte damals den Gewerkschaften das Monopol auf die Pfründe der Kammern sichern und lockere Wahlbündnisse verhindern. Daß eine Gewerkschaft einmal das Kriterium nicht erfüllen würde, daran dachte 1979 niemand.
Ist also nicht nur der Gesetzeswortlaut, sondern auch der Wille des Gesetzgebers eindeutig? Mag sein, sagt der für die Rechtsaufsicht über die Kammern zuständige Mann im Wirtschaftsressort, Gernot Diergarten, spielt aber für die fachkundige juristische Bewertung des Falles keine Rolle.
Denn Manfred Siebert von der IG Chemie will derzeit ja nur Präsident der Kammer werden. Dafür kann er kandidieren, wenn er Mitglied der Vollversammlung ist, mehr verlangen die Statuten nicht. Und ob er damals als Kandidat vorgeschlagen und auf die Liste genommen werden durfte, das ist eine andere Frage. Das hätte man damals prüfen können – heute ist es zu spät. Denn: „Ich kann nicht nachträglich die Befähigung von jemandem anfechten, Mitglied der Vollversammlung der Kammer zu sein.“
Das bedeutet: Selbst wenn damals die Aufstellung des IG Chemie-Mannes als Kandidat für die Vollversammlung gegen das Gesetz verstieß, weil die IG Chemie keine „wesentliche Bedeutung“ für das Arbeitsleben im Lande Bremen hat und insbesondere keine „Verwaltung der Organisation“, könnte er heute vollkommen legal aus der Mitte der Vollversammlung zum Präsidenten gewählt werden.
Wie Recht der kleine Mann hat... K.W.
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