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Hände abschlecken in Wien (II) Von Wiglaf Droste

Weil die letzte Kolumne „Hände abschlecken in Wien (I)“ geheißen hat, muß diese „Hände abschlecken in Wien (II)“ heißen. Das ist Gesetz, und das ist lästig, denn viel lieber schröbe ich heute über einen Mann, den die Welt als Ludger den Lügner kennt: ein älterer Sozialdemokrat, der stolz erzählt, wie er Austern mit dem HJ-Dolch öffnet und seinen Angestellten, denen er Hungerlöhne zahlt, von Hundertfünfzigmarkscheinen vorschwärmt. Und obwohl Ludger der Lügner ein Feind meines Feindes Henlyk M. Blodel ist, so ist er doch nicht mein Freund, nicht einmal mein Bundesgenosse, denn dazu ist mir der alte Sack schlicht zu blasiert und verlogen.

Doch es hilft nichts: Das Gesetz der Serie zwingt mich, über Wien zu schreiben, genauer: über die „Wiener Wochen des schlechten Geschmacks“, die dieser Tage zu Ende gehen. Obwohl ich mit schlechtem Geschmack nicht das geringste zu schaffen habe, war ich auch dort; gleich am zwoten Abend wurde ich im Lokal „Orpheum“ Zeuge einer Taschenpfändung. Zwei eher wie Karikaturen von Ordnungskraft aussehende Ordnungskräfte traten an den Tisch und rissen einen jungen Mann aus unserer Mitte. Kurzerhand packten sie ihn, hielten ihn mit dem Kopf nach unten in die Luft und schüttelten ihn, bis nichts mehr aus seinen Taschen fiel. Dann klaubten sie vom Boden die herabgefallenen ÖSchis auf, grinsten frech und gingen ihrer Wege. Zum Glück konnte ich dem sympathischen jungen Mann – dessen einziges Verbrechen darin bestand, ein paar „Parkpickerln“, wie der Österreicher seine Strafmandate nennt, nicht bezahlt zu haben, aus der Klemme helfen, denn der Impresario der „Wochen des schlechten Geschmacks“, Herr Jochen Herdieckerhoff, den man üblicherweise im himmlischen Café Jelinek vor sich hin dösend antrifft, versorgt seine Künstler stets großzügig mit Barem.

Nachdem also der junge Parkpickerlnsünder getröstet war, ging es wieder fröhlich zu im „Orpheum“. Der Kabarettist Werner Schneyder kam herein, um pünktlich zu seinem 60. Geburtstag ein letztes Mal sein Programm „Abschiedsabend“, das er seit zwoeinhalb Jahren gibt, zu spielen. Da war dann der schlechte Geschmack, der sich für den guten hält, ganz bei sich angekommen.

Ebenfalls zugegen in der Adabei-Runde waren Herdieckerhoffs Intimus und Kollege Kurt Palm, ein Regisseur, den die magensaure Aura eines Politruks umweht, und Jogi Metes, die Wiener Filiale von Thomas Gottschalk. Mit Schmäh und Hinterfotzigkeit wurde gestritten am Tisch. Nur in der Ablehnung des stets abgeschleckt nicht nur aussehenden, sondern von den Österreichern, die man dafür gern „Kamerad Schnürschuh“ nennen mag, auch täglich abgeschleckten Faschisten Jörg Haider immerhin war man sich einig: „Dem wünsch ich Dünnschiß, beide Hände ab und kein Papier!“ rief die Runde, wann immer die internen Streitigkeiten zu eskalieren drohten.

Zum Schluß muß ich ein klitzekleines bißchen prahlen: Als ich Hermes Phettberg, der mir sein Buch „Predigtdienst“ verehrte, um eine Signatur bat, wehrte dieser vorbildliche Mann ab und sagte auf wienerisch: „Naaa – ich bin doch nicht wert, deine Schnürriemen zu lösen.“ Und da Hermes Phettberg nicht Ludger der Lügner ist, war ich aufrichtig froh.

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