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Riesenglück im Lustschloß

■ „Rocky Horror“ verwandelt Bremerhavens Theater in Tollhaus

Es war die Stimmung, die von Anfang stimmte und schließlich alle mitriß – sogar die älteren Jahrgänge, an denen Kult und Kultfilm vor 20 Jahren vorbeigegangen waren. Im ausverkauften Großen Haus des Stadttheaters Bremerhaven feierten Dr. Frank N'Furter und seine transsilvanische Gefolgschaft eine derart bejubelte Wiederauferstehung, als seien die heißen 70er Jahre noch einmal zurückgekehrt. Richard O'Briens Rock-Musical „The Rocky Horror Show“ hat die Bremerhavener im Handstreich erobert, nach eineinhalb Stunden gab es Standing ovations für den Jung-Regisseur Dirk Böhling sowie die zahlreichen Akteure des Spektakels, das nichts von seiner Kraft verloren hat.

„Werfen Sie nichts auf die Bühne, schnallen Sie sich nicht an und lassen Sie Ihre Nachbarn in Ruh'“, wurde vorweg gewarnt, und natürlich wurde nichts auf die Bühne geworfen, aber die Reiskörner prasselten auf die Köpfe des Publikums, in dem sich schwarz und grell aufgeputzte Girlies daran machten, nach alter Tradition Wort für Wort mitzusprechen, mitzusingen, Körner zu streuen und aus Wasserpistolen zu schießen. Das Theater sah danach wie ein alter Kinoschuppen aus, aber wer die Rocky-Horror-Show ins Programm hievt, weiß genau, was passieren kann.

Regie-Debütant Dirk Böhling hat das Stück mit einfachen Mitteln in Szene gesetzt. Verschiedene Vorhänge, eine große Showtreppe und eine Galerie reichen aus für das transsexuelle Lustschloß (Bild: Ulrich Hüstebeck). Böhling setzt ganz auf seine SängerInnen und SpielerInnen, und mit ihnen hat er größtenteils unverschämtes Glück. Rocky ist nicht nur eine Ausbund an makellos maskuliner Schönheit, der Muskelmann mit dem treuen Kinderblick (Michael Schwarz) kann sogar angenehm singen. Für den ruppigen Edelrocker Eddie, der natürlich auf dem Motorrad anfährt, hat Böhling eine lokale Berühmtheit der Rock-Szene eingekauft: Den schwarzen Sänger Emo Philips, der den richtigen Ton für diese Rolle trifft.

Iris Wemme als frisch-naive Janet und Ulrich Lenk als spießiger Brad hätten nicht besser besetzt werden können. Mit Horst Kroll als Erzähler hat Böhling ein Urgestein des Ensembles aktiviert, etwas märchenonkelhaft, manchmal sogar etwas langsam, aber im entscheidenden Moment am Schluß ist er es, der dem Stück für Augenblicke den tieferen Unterton gibt.

Im Mittelpunkt steht ein Wesen aus Magie und Sex, der Nicht-Mensch Dr. Frank N'Furter, der süße Transvestit. In dieser Rolle ist Hans Neblung neben Rocky der Star des Abends. Er hat nicht nur eine betörend gute Stimme, er strahlt jene schwer zu machende Mischung aus aggressiver Lust und komisch trauriger Clownerie aus, die diesen „sweet transvestite“ so seltsam menschlich macht. Wenn er seine hohen Stöckelschuhe demonstrativ ablegt, um sich ins Parkett zu begeben und mitten im Publikum sein sentimentales „I'm going home“ zu singen, dann sind Taschentücher gefragt. Böhling gelingt es in diesen Momenten, die „Rocky Horror Show“ vor jedem schenkelklopfenden Humor zu retten. Dabei kann er sich auf eine Gruppe junger Musiker verlassen (Leitung: Arne Willimczik), die den Songs den nötigen Drive geben.

„Putzt euch heraus und verkleidet euch, lacht, applaudiert, dann geht heim und macht Liebe“, schrieb der Autor den BremerhavenerInnen ins Programmheft. Ein Gruß, der ankam. Soviel Jubel war in dem seriösen Musentempel selten zu hören. Hans Happel

Weitere Termine am 14., 15., 20., 23. und 28. Februar

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