: Statt toller Tage eine olle Plage
■ Der Karneval in der Hauptstadt trägt auch in diesem Jahr wieder eine Tarnkappe. Die wenigen Narren feiern trotzdem tapfer mit Pappnase und Samba-Rhythmen
Humor ist, wenn man's trotzdem macht: Rote Pappnase auf, Schminke ins Gesicht und raus auf die Straße, sagte sich Astrid Landero am Wochenende. Doch ihr Aufzug war für die miesepetrigen Samstagseinkäufer in Kreuzberg eine Spur zu exotisch. Schocksymptome statt eines lustigen „Helau!“ bei den Passanten: „Die haben mich angestarrt, als wäre ich gerade aus der Heilanstalt entflohen“, wundert sich die gebürtige Thüringerin aus der ostdeutschen Faschingshochburg Wasungen.
In Köln, Düsseldorf und Mainz toben die „tollen Tage“ – für die Berliner wohl eher eine olle Plage: Den letzten Karnevalszug gab es hier 1958, und schunkelnde Menschen am Rosenmontag kennen die meisten Berliner nur aus der Glotze. Kein Witz – sogar das Berliner Dreigestirn, nach Kölschem Vorbild Prinz, Jungfrau und Bauer, feierte gestern Rosenmontag unterm Kölner Dom. Die Domstadt im Delirium karnevalensis – in Berlin regiert protestantische Nüchternheit. In ganz Berlin?
Nein! Ein kleines Völkchen standhafter Jecken hält die Stellung: So schunkeln organisierte Karnevalisten auf bewährte Weise in sage und schreibe 21 Berliner Karnevalsvereinen. Mit Prunksitzungen, Rathaus-Stürmen und viel Tschingderassabum. Funkenmariechen inklusive. Andere, wie die zugewanderte Astrid Landero vom „Sozio-kulturellen Stadtteilzentrum Checkpoint“ in der Leipziger Straße, veranstalten brasilianische Faschingspartys für Jecken jeden Alters.
Tapferes Narrentum – doch die Hauptstadtöffentlichkeit „is not amused“: Sache der Kinder ist der Karneval in Berlin, hat die Thüringerin Landero festgestellt. Ist der Jeck erst mal volljährig, wird er argwöhnisch beäugt: „Die Medien spielen einfach nicht mit“, beschwert sich Reinhard Muß, Präsident des Berliner Karnevalsvereins. Da die Zeitungen nur dürftig berichten, erfahre ja keiner vom närrischen Treiben.
Dabei hat der „Karneval mit Tarnkappe“ einiges zu bieten: „Bei unserer diesjährigen Prunksitzung waren über 1.000 Besucher“, erzählt Oberkarnevalist Muß stolz. Am 11.11. wie auch zu Altweiberfastnacht habe man das Weddinger Rathaus gestürmt. Sogar einen buntgeschmückten Festwagen hat sein Verein. Da der jedoch in der Berliner Diaspora nur verrottet, fuhren Muß & Co. am Sonntag beim Cottbusser Zug in Brandenburg mit.
Karneval traditionell – oder multikulti? Im Kulturzentrum Checkpoint feierten gestern wenigstens die Kids: auf brasilianisch, mit dem Clown Peppino, Samba und selbstgestalteten peruanischen Masken. Und für die Großen gab es am Samstag Zuckerhut- Feeling im Checkpoint. Nur: Vielen fehlte ein wenig närrische Power. „Viele wollten sich nur berieseln lassen“, wundert sich Checkpoint-Mitarbeiterin Landero über die passive Konsumhaltung. Klemens Vogel
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