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Am Kriege wenigstens riechen

Die Arbeiter sind fleißig, da liegt kein Streik in der Luft. Adolph Menzel, Säulenheiliger der Berliner Kunst, war einer ruhiger Chronist der frühen Industrialisierung. Das Alte Museum in Berlin zeigt eine große Retrospektive  ■ Von Ulrich Clewing

In Berlin hat der Name Menzel einen besonderen Klang. Am zweiten Tag der mit gut 70 Gemälden und rund 200 Zeichnungen umfangreichsten Menzel-Ausstellung seit langem herrscht beträchtliches Gedrängel im Alten Museum. Daß die BesucherInnen nicht schon an den Kassen Schlange stehen, liegt wahrscheinlich daran, daß die Gegend rund um die Museumsinsel an diesem sonnigen Wochenende wegen des Treffens der G7-Finanzminister weitläufig abgesperrt ist.

Adolph Menzel ist einer der Säulenheiligen der Berliner Kunst des 19. Jahrhunderts, vergleichbar mit Karl Friedrich Schinkel in der Architektur oder Gottfried Schadow in der Bildhauerei. Er ist einer, auf den man sich verständigen kann, der größte gemeinsame Nenner für Ausstellungsgänger mit ansonsten ganz unterschiedlichen Interessen – vielleicht deshalb, weil er die Menschen immer auch ein wenig ratlos macht.

Die einen sehen in ihm den Maler der königlich-preußischen Geschichte, der dem Ansehen Friedrich des Großen zu populärer Größe verhalf. Für die anderen ist Menzel der Beobachter mit dem scharfen, manchmal zur Satire neigenden Blick, der mit ungewöhnlichen Perspektiven und Bildmotiven experimentierte.

Die meisten Arbeiten, die jetzt nach Stationen in Washington und Paris in Berlin präsentiert werden, stammen aus den Beständen der wiedervereinten Nationalgalerie. Sie sind in der Ausstellung nicht chronologisch gehängt, sondern nach Themen zusammengestellt, was insofern problematisch ist, als damit eine Ordnung in Menzels Werk vorgespiegelt wird, die in Wirklichkeit so nicht vorhanden war. Und auch über die Frage, wie modern Menzel tatsächlich war, besagt sie nichts.

Adolph Menzel, 1815 in Breslau, dem heutigen Wroclaw, geboren, offenbart bereits als Kind eine ausgesprochene künstlerische Begabung. Sein Vater, Carl Erdmann Menzel, ein ehemaliger Schulvorsteher, hatte 1818 eine Werkstatt für Steindrucke gegründet. Mit vierzehn liefert Menzel Vorlagen zu Illustrationen für Bücher wie J.A. Kutzens „Die Geschichte des Preußischen Staates“, mit sechzehn – die Familie ist inzwischen nach Berlin umgezogen, der Vater gestorben – übernimmt er den Betrieb, um für den Lebensunterhalt seiner Mutter und der beiden jüngeren Geschwister zu sorgen.

In jenen Jahren entstehen hauptsächlich Zeichnungen und Drucke. Ölbilder malt Menzel selten. Das früheste Gemälde in der Ausstellung, die „Schachpartie“ von 1836, ist ganz dem damals sehr beliebten historischen Genre verpflichtet: Zwei in der Tracht des 17. Jahrhunderts gekleidete Landsknechte sitzen am Fenster und spielen Schach, rechts am Bildrand lehnt ein Gewehr an der Wand. Im Hintergrund erkennt man ein altes Bauernpaar, das auf einen dritten Musketier einredet. Ein schlichtes, kleines Bild, ausgeführt mit einer für einen Zwanzigjährigen beachtlichen malerischen Finesse – mehr nicht.

Die Arbeiten, für die Menzel heute geschätzt wird, sind andere. Das Gemälde „Die Berlin-Potsdamer Bahn“ von 1847 zum Beispiel: Menzel war einer der ersten, die die Veränderungen, die die Industrialisierung mit sich brachte, im Bild festhielten. Allerdings fehlt ihm dabei die Parteilichkeit, die tragische Dimension, die ein Maler wie der Engländer William Turner seinem drei Jahre früher entstandenen Gemälde „Rain, Steam and Speed – The Great Western Railway“ verliehen hatte.

Turner malte die Fahrt der Eisenbahn als dramatisches Tableau mit fast mythischer Tragweite. Dort jagt die Lokomotive, die aus einer Aura von Nebel und Dampf auftaucht, einen davonlaufenden Hasen – ein Detail von symbolhafter Bedeutung: Die neue Technik verdrängt die Natur. Anders bei Menzel: Seine Berlin-Potsdamer Bahn ist kein apokalyptischer Reiter. Sie ist einfach unterwegs und Menzel der Betrachter und teilnahmslose Chronist.

Das gleiche trifft auf sein wohl berühmtestes Gemälde zu, das „Eisenwalzwerk“, das er 1875 nach drei Jahren fertigstellte. Die Darstellung der schwitzenden Arbeiter in der Fabrik wird gemeinhin als das erste Mal angesehen, daß ein solches Motiv in Deutschland für bildwürdig erachtet wurde. Lange Zeit galt es als Beweis für Menzels Engagement in der sozialen Frage.

Betrachtet man das „Eisenwalzwerk“ jedoch genauer, fällt auf, daß sich dieser Anspruch nicht einlöst. Ein Jahr bevor Menzel nach Schlesien reist, um vor Ort Skizzen für das großformatige Bild zu machen, war unter den Arbeitern in Königshütte wegen der schlechten Arbeitsbedingungen ein Aufstand ausgebrochen, der schließlich vom Militär brutal niedergeschlagen wurde.

Bei Menzel findet sich nichts davon, das Bild ist keine Anklage. „Die Arbeiter“, schreibt Peter Weiss am Ende des ersten Bandes seiner „Ästhetik des Widerstandes“ über Menzels Gemälde, „sind alle tüchtig und fleißig, da liegt kein Aufstand, kein Streik in der Luft.“ Später war das „Eisenwalzwerk“ als Farbdruck weit verbreitet, wurde Werktätigen als Vorbild und Mittel zur Erbauung empfohlen.

Im „Labyrinth der Wirklichkeit“, so der Titel der Ausstellung, mit dem angedeutet werden soll, daß Menzel sämtliche Facetten des damaligen Lebens mit gleicher Intensität zu erfassen versuchte, war für soziale Utopien kein Platz. Das selbe Motiv – hart arbeitende Männer – hatte Menzel bereits 1869 einmal verwendet. Es erscheint auf einem Schmuckblatt zum Jubiläum des fünfzigjährigen Bestehens der Berliner Firma Heckmann. Ein Indiz, wie wenig verfänglich solche Darstellungen seinerzeit verstanden wurden.

Als Zeuge einer disparaten Zeit stößt Menzel immer wieder recht bald an seine Grenzen. 1866 fährt er ins Gebiet des Preußisch-Österreichischen Krieges, zeichnet in den Lazaretten von Königinhof verwundete, sterbende und tote Soldaten. Nicht etwa aus Lust am Dokumentieren: „Auch ich empfand“, notierte Menzel im nachhinein, „ein Pflichtgefühl, das mir keine Ruhe mehr ließ, am Kriege wenigstens zu riechen.“

Was ihn an den schrecklichen Szenen, die er dort erlebte, interessierte, waren künstlerische Probleme: „Woher Schlüter seine Zeughausmasken hat, weiß ich jetzt auch.“ Der Maler als Sonderling und gesellschaftlicher Autist: Menzel mag heutigen, von Beliebigkeit geprägten Vorstellungen eines modernen Künstlers entsprechen. Zu seinen Lebzeiten war er es sicher nicht.

Altes Museum Berlin, Museumsinsel, Di–So 9–17 Uhr, bis 11.5.

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