: Kroaten jagen Muslime durch Mostar
■ Nach den blutigen Zusammenstößen in der bosnischen geteilten Stadt beschuldigen sich beide Seiten der Provokation
Wien (taz) – Nach den schweren Zusammenstößen zwischen Muslimen und bosnischen Kroaten in Mostar sind gestern 100 muslimische Bewohner aus dem kroatischen Westteil der Stadt vertrieben worden. Nach Angaben des UN- flüchtlingshilfswerks (UNHCR) handelte es sich um den größten Exodus aus Mostar seit Ende des Krieges 1994. Die Präsenz von Soldaten der Friedenstruppe SFOR wurde verstärkt.
Zuvor hatten beide Konfliktparteien den Zwischenfall vom Montag, bei dem zwei Muslime erschossen worden waren, verurteilt und als ungeheuerliche Provokation sowie einen gezielten Versuch, den brüchigen Frieden in Mostar zu beenden, bezeichnet. Dabei nahmen die Zeitungskommentatoren gestern allerdings kein Blatt vor den Mund. Die Muslime seien schuld, hieß es in Zagreb, daß „wieder Krieg in der Luft liege“. Aus Sarajevo wurde gekontert, den Kroaten sei einfach nicht zu trauen, „heimtückisch und kriegslüsternd“ sei deren Führung.
Doch die Zusammenstöße vom Montag waren vorauszusehen. Für die Muslime geht an diesem Tag der Ramadan zu Ende und es ist die heilige Pflicht eines jeden, der Toten auf dem Friedhof zu gedenken. Die Kroaten feiern Rosenmontag und wollen von muslimischen Prozessionen auf keinen Fall gestört werden. Dennoch waren gegen zwei Uhr nachmittags einige hundert Muslime aus dem Ostteil Mostars in den kroatisch dominierten Westteil gezogen, ohne verherige Anmeldung oder Absprache mit den Behörden. Die Pilger begründeten ihren Marsch mit der offiziell vereinbarten Bewegungsfreiheit für alle Bewohner. Worauf sie sich einließen, hätten sie aus der Ferne erkennen können. Auf einer Anhöhe verbrannten Kroaten gerade eine Puppe des bosnischen Staatspräsidenten Alija Izetbegović. Dazu stimmten einige katholische Fanatiker Haßlieder an, mit Zeilen wie: „Wenn der Mufti es treibt mit dem Schwein...“
Es kam, wie es kommen mußte: Wenige Meter hinter dem UNO- Grenzposten „empfingen“ angetrunkene Kroaten den Prozessionszug mit Steinen und Schüssen. Augenzeugenberichten zufolge wurden mindestens zwei Muslime tödlich getroffen, Dutzende schwer verletzt. Der EU-Beauftragte für das ehemalige Jugoslawien, Carl Bildt, nannte den Zwischenfall „den folgenschwersten seit der Unterschrift von Dayton“ und ließ gestern UNO-Militärverbände zur Verstärkung nach Mostar schicken und eine Ausgangssperre in den Nachtstunden verhängen. Ob mit diesen Maßnahmen Übergriffe zwischen den Volksgruppen eingeschränkt werden können, wird sich noch zeigen.
Seit dem Ende der EU-Verwaltung für Mostar im Dezember gehört jedoch die gewaltsame Vertreibung von Muslimen wieder zum Alltag in der herzegowinischen Großstadt. Fast hundert Zivilisten verjagten die Kroaten in den vergangenen zwei Monaten aus den Westbezirken Mostars in den Osten. Eine 71jährige Muslimin bezahlte die Brutalität kroatischer Soldaten mit dem Leben: Nach UNO-Angaben wurde die behinderte Frau aus ihrer Wohnung geschleppt und in eine Hausruine gezerrt. Sich selbst überlassen, sei sie erfroren.
Die großen Hoffnungen, begleitet von rund 264 Millionen Mark Wirtschaftshilfen, auf Versöhnung in Mostar, haben sich nicht erfüllt. Als erster EU-Verwalter hatte im Juli 1994 Bremens Exbürgermeister Hans Koschnick die Verwaltung übernommen. Gleichzeitig wurde Mostar zur entmilitarisierten Zone erklärt. Im Dezember lief das UNO-Mandat ab, fortan sollten gemeinsame Behörden und Polizeistreifen die Teilung der Stadt überwinden helfen – bis jetzt ohne Erfolg. Karl Gersuny
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