Zwischen den Rillen: Country & Eastern
■ Gundermann, Wenzel & Mensching – im Ostlied nichts Neues?
„Kunst ist Waffe“, sprach einst der Dichter Friedrich Wolf. Oder ist Kunst, wie Woody Allen es formulierte, doch eher „Waffel“? Am runden Tisch hören die gewesenen DDR-Bürger Brigitta (59), Torsten (31), Klaus (59) und Anke (36) die neuen Werke von Gerhard Gundermann, dem „Bob Dylan der Tagebaue“, und seiner Seilschaft sowie die von Wenzel & Mensching.
1. Gundermann & Seilschaft:
„,Heyaheya‘! Klingt wie ein Indianerstamm, der um den Totempfahl tanzt! Gundermann ist doch Baggerfahrer in der Lausitzer Braunkohle.“ „War. Er ist jetzt arbeitslos.“ „Wie ich.“ „Ich auch.“ „Ich nicht.“ „Verstehe, Gundermann macht auf Indianer, der erst der Natur die Schätze abtrotzen muß und dem dann die – na ja – Heimat und zuletzt die Arbeit weggerissen werden, und der nun ohne alles im öden Reservat hockt.“ „Indianer sind die ärmsten Amerikaner überhaupt, die einzige Gruppe ohne einflußreiche Lobby.“ „Ist das nicht übertrieben, daß Gundi als Ostler so auf Eingeborener und Aborigines oder wie das heißt macht?“ „Steht sich doch nichts aus, der Mann. Hat Stasi-Vorwürfe und alles überlebt.“ „Wie – alles überlebt? Wenn du an der Zeit leidest, leidest du eben – da brauchst du keine privaten Gründe.“ „Ich finde die Lieder schön.“ „Warum?“ „Na, die sind anders als die anderen Gundermann-CDs, nicht so kämpferisch. Gundermann ballt nicht mehr pausenlos die Faust – das ging mir früher manchmal auf den Geist, das ewig Empörte. Schön melodiös ist das jetzt, verhalten, sanft.“ „Schöne Stimme. Irgendwie hört man das gern.“ „Genau. Ich überlege immer, mit wem Gundermann Ähnlichkeit hat. Tamara Danz?“ „Hm. Komisch, was, wie das alles geprägt ist von der DDR? Früher hat man das gar nicht so gemerkt.“ „Also mir gefällt, daß die Lieder auch was aussagen. Es sind keine Texte, sondern richtige Gedichte: ,Hier draußen vergeht den Apparaten das Klingen.‘“ „Ja, wer die Sehnsucht nicht kennt, weiß nicht, was Gundermann leidet, und sollte die Finger von ihm lassen...“ „Doof!“ „Das ist eigentlich eine Regionalplatte mit extrem symbolischem Anspruch: Arbeit, Heimat, Tod der Tagebaue, Engel über dem Revier, Verluste, plötzlich der liebe Gott. Und dann die Fotos im Booklet: hier frohes Arbeiterleben, da trauriges Arbeitslosenleben.“ „Ich finde die Musik interessant. Mal geht so ein Lied in einen Marsch über, mal endet es fast wie eine Fußballhymne. Natur und Volk und Volkslied. ,Am Brunnen vor dem Tore...‘ Ziemlich assoziativ.“ „Genau das nervt, zuviel Gerede ums Proletariat.“ „Mir gefällt an den Liedern, daß es nun aber einmal so ist, wie er es singt: Man verschiebt das Leben ewig auf die Zukunft. Man gewöhnt sich an etwas, und dann ist es vorbei – der Sommer, Glück, Vertrautheit, Jugend.“ „Ist dir das nicht zu depressiv? Diese ganze Verlassenheit, wenn er singt ,Alle wissen, wo es langgeht‘ – nur er und wir hier nicht?“ „Nein, es ist traurig, nicht depressiv! Gundermann stellt fest, wie es jetzt für uns ist, und das klingt warm und mitfühlend, aber Jammerei ist das nicht. Guck dich doch bloß mal um hier!“ (Gemeint ist Eisenhüttenstadt an der polnischen Grenze.) „Also Energie aufzubringen ist schon harte Arbeit. Ich finde die Musik der Situation völlig angemessen.“ „Welcher Situation?“ „Der Situation hier im Osten. Arbeit ist das Zentrum vom Leben, da können die noch soviel von Fun oder wie das heißt reden. ,Wie soll ich leben in der dünnen Luft / die Ihr verbraucht für euer Marktgeschrei / Ihr hört ja nicht / wenn einer Hilfe ruft / hier unten hört man meilenweit.‘ Da ist alles drin.“ „Ja, eine tolle Strophe.“ (Alle nicken.) „Hat Gundermann gut hingekriegt, die Platte. Es klingt wie Country & Western, ein bißchen.“ „Der Blues des kleinen weißen Mannes.“ „Aber irgendwie sind die Lieder dann doch alle gleich.“ „Was meinst du, wie ein Westler die CD findet?“ „Schmalzig und übertrieben sentimental, aber genau weiß ich das auch nicht.“
2. Wenzel & Mensching
„Mein Fall waren sie nie.“ „Ja, die sind immer noch so zirkushaft. Machen immer auf Clowns.“ „Das Foto im CD- Heft, wo beide ein Schnapsglas heben, sieht aus, als machen sie einen FDJ-Gruß. Lustig.“ „Oder Hitlergruß.“ „Quatsch. Die Texte sind saublöd: ,Frau Wirtin hatte einen Korsen / der konnt auf ihrem Kitzler morsen.‘ Wenn das lustig oder ironisch sein soll, na, schönen Dank auch.“ „Zu allem müssen sie ihren Senf dazugeben, zu jedem Thema, Müll, Handys. Langweilig.“ „Die halten den Westen und alle west-assimilierten Ostler auch für moralische Entwicklungsgebiete.“ „Also mir gefällt einfach die Musik nicht – was soll das nun für eine Platte sein? Tango? Chanson? Seemannslied? Alles ist durcheinander.“ Aufgezeichnet
von Anke Westphal
Gundermann & Seilschaft: „Engel über dem Revier“
Wenzel &Mensching: „Armer kleiner Händimann“ (beide Buschfunk)
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