: Fachhochschulstudium als Regelstudium
■ Jürgen Mittelstraß über Alternativen zur überkommenen universitären Ausbildung
Der Konstanzer Philosophieprofessor Jürgen Mittelstraß, der die Fachhochschulen gerne zu Regelhochschulen machen würde, im taz-Interview
taz: Früher war die Fachhochschule (FH) nur etwas für diejenigen, die nicht auf eine „richtige“ Universität gehen konnten, weil die Noten zu schlecht waren. Heute ist das anders.
Jürgen Mittelstraß: Das wundert mich nicht. Immer mehr wollen offensichtlich ein berufs- und praxisnahes Studium. Es macht ja auch Sinn, so ausgebildet zu werden, daß man auf einem immer schwieriger werdenden Berufsmarkt eine Chance hat. Eine Universität kann nun strenggenommen nur diejenigen berufsnah ausbilden, die in forschungsnahe Berufe wollen.
Sie fordern deshalb, daß statt der Uni die Fachhochschule zur Regelhochschule wird.
Ja. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum an den Universitäten viele Studiengänge angeboten werden, die eine genuine Aufgabe der Fachhochschulen wären und die gar keine wissenschaftliche Ausbildung bieten.
Zum Beispiel?
In der Ingenieursausbildung wird bereits heute sehr viel von FHs erledigt. Das gilt auch für die Betriebswirtschaft. Auch die nichtmedizinischen Gesundheitsberufe, wie das Krankenhausmanagement, gehören nicht an eine Universität. Pharmazie und Zahnmedizin könnte man auslagern. Zumindest teilweise gehören auch Jura und Mathematik dazu. Viele der Absolventen dieser Fächer landen ohnehin später in der Verwaltung oder bei einer Versicherung. Warum sollten sie ein Universitätsstudium absolvieren?
Mit Ihrem Reformvorschlag werfen Sie einen wesentlichen Grundsatz – die Einheit von Forschung und Lehre – über Bord.
Diese Einheit leistet die Universität unter den Bedingungen von Überlastung und Unterfinanzierung schon lange nicht mehr. Erst in kleineren Unis hätte dieses Prinzip noch einmal eine Chance.
Wie viele Studenten ließen sich nach Ihren Vorstellungen an den Fachhochschulen unterbringen?
In meinen kühnsten Träumen denke ich an 60 bis 70 Prozent. Dazu müßte natürlich radikal umgeschichtet werden.
Was macht Sie so sicher, daß Sie damit nicht auch die Probleme nur umschichten: überfüllte Hörsäle, unzufriedene Studenten, genervte Professoren?
So etwas geht natürlich nicht von heute auf morgen. Und es kostet viel Geld. Denn wir müßten die FHs erst erheblich ausbauen, bevor wir die Unis abbauen.
Wer soll das bezahlen?
Vermutlich niemand. Bund und Länder werden sich nach dem moderaten Ausbau der letzten Jahre wohl kaum weitere große Fachhochschulen leisten wollen – auch wenn es sich langfristig sicher rentieren würde.
Wo ist dann Ihre Lobby? Die Professoren haben es sich ja auch recht gemütlich gemacht in ihren Nischen. Der Lehrende an einer FH wäre doch „nur“ ein besserer Studienrat.
Es ist noch viel schlimmer. Nicht nur, daß die Professoren wohl nicht mit fröhlichem Singsang an eine Fachhochschule wechseln würden – ich bezweifle auch, daß die Universitäten entlastet werden wollen. Wir erleben es immer wieder: Sobald die Zahl der Studierenden endlich einmal sinkt, ziehen die Rektoren übers Land und sammeln sie wieder ein.
Dabei könnten sie sich doch freuen.
Die Größe einer Universität beeinflußt auch ihr Ansehen. So wird das offenbar von der universitären Welt gesehen.
Alles bleibt also beim alten?
Es gibt eine kleine Chance: Innerhalb des kommenden Jahrzehnts wird der größte Teil der Professoren in Pension gehen. Eine neue Generation wird folgen. Wenn es eine Chance gibt, eine andere Hochschulordnung und ein anderes Ethos des Lehrens und Lernens zu schaffen, dann innerhalb dieser Zeit. Interview: Jeannette Goddar
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