: Eins ist sicher: Die Rentner sind sauer
RentnerInnen arbeiten auch: Ehrenamtlich und engagiert. Mehr noch als die Rentenkürzungen ärgert sie, daß sie als Last der Gesellschaft diskriminiert werden ■ Aus Frankfurt/Main Heide Platen
Peter Kober eilt fünf Schritte vor, drei zurück, wippt auf den Zehen, dreht sich. Die Hände wandern in der Luft, nach rechts, links, nach unten. Der Mann ist mit dem ganzen Körper beredt. Er hebt den Pullover hoch und präsentiert seinen Bauch samt den breiten Hosenträgern, die er, schlank und agil, eigentlich gar nicht braucht.
Um die Hüften ist eine Bauchtasche gegürtet. Das gefällt den knapp zwanzig älteren Frauen im Alten-Club des Frankfurter Vorortes Seckbach nicht so recht. Peter Kober hat sich gerade an einem ihrer Heiligtümer vergriffen: der Handtasche. Die Damen schütteln die dauergewellten weißen Locken und Pagenköpfe unwillig: „Nein, das sieht gar nicht gut aus“, „das macht dick“, „sieht aus wie schwanger“. Aus dem Alter sind die Damen eigentlich raus, aber von ihren Täschchen wollen sie nicht lassen.
Peter Kober ist hier als Sicherheitsberater. Außerdem koordiniert er die Einsätze, Vorträge und Fortbildungsveranstaltungen für seine bis zu fünfzehn KollegInnen vom „Senioren-Büro Aktiv“. Die sind RentnerInnen wie er und ehrenamtlich in Sachen Sicherheit unterwegs. Geschult werden sie in Lehrgängen der Frankfurter Kriminalpolizei. Und jetzt arbeitet sich Kober hier an seinem „Lieblings“-Sicherheitsrisiko Handtasche ab.
„Rentnerschwemme“ – das Wort erbost ihn
Nützt das was? Ja, sagt er, nach anderen Vorträgen hätten sich schon „drei bis vier“ Teilnehmerinnen von dem liebgewordenen Utensil getrennt und seien auf Brustbeutel oder Bauchtäschchen umgestiegen: „Alles eine Frage der Gewöhnung.“ Kober verkauft sein Anliegen gut, informiert über Trickbetrug, gibt Tips und trifft den überzeugenden Ton.
Kein Wunder, schließlich hat er viele Jahre im Außendienst eines Industrieunternehmens gearbeitet. Da fällt ihm die Überzeugungsarbeit gegen die weibliche Eitelkeit nicht gar so schwer.
So sehen sie also aus, die RentnerInnen, die den Jungen und der Gesellschaft nun angeblich zur größten Last werden.
Doris Appel, die Leiterin des Senioren-Büros Aktiv, hat errechnet, daß das Büro, das zunächst von der Bundesregierung, dann von der Stadt Frankfurt gefördert wurde, mit all seiner von der „Rentnerschwemme“ geleisteten ehrenamtlichen Arbeit mehr einbringt, als es die Gesellschaft kostet – die Löhne des Studentenschnelldienstes zugrunde gelegt. Dabei übernimmt die Organisation, die die Ehrenämter ähnlich wie eine professionelle Agentur vermittelt, oft auch die Fahrkosten und handelt kleine Aufwandsentschädigungen aus.
Peter Kober ist 60 Jahre alt und nun seit einem Jahr Teil der „Rentnerschwemme“. Und ist sauer, so abqualifiziert zu werden. Er wählte den Ruhestand, als seine Firma verkauft wurde. Mit zusätzlichen Versicherungen wähnte er sich abgesichert und gut versorgt: „Den Vorruhestand habe ich darauf aufgebaut.“ Mit der geplanten Versteuerung der Erträge hatte er nicht gerechnet und ärgert sich natürlich.
Als Belastung für die Gesellschaft jedenfalls wollte er sich nie empfinden, deshalb hatte er schon im voraus geplant, seine Zeit und sein Talent als Organisator für gemeinnützige Zwecke einzusetzen. Es hat seine eigene Ironie, wie er nun versucht, dem Alten-Club das Lebensgefühl von Unsicherheit zu nehmen. Denn, trotz allem sollten gerade die Alten nicht zu mißtrauisch sein und sich nicht selbst isolieren: „Es steht nicht hinter jedem Baum einer, der unbedingt an Ihr Geld will.“ Daß er findet, daß diese Art Abstauber derzeit eher in Bonn sitzen, sagt Kober erst nach dem Bauchtäschchen-Vortrag. Der richtige Gauner, hämmert er nun erst mal den Damen ein, sieht aus „wie Sie und ich, kommt am hellen Tag und spricht sehr gut Deutsch“.
Im ersten Stock eines modernen Containerbaus am Rothschild- Park in der Frankfurter Innenstadt arbeitet die 65jährige Edith Eichhorn im Büro des Instituts für Sozialarbeit, das vor über 100 Jahren aus einer Stiftung entstanden ist. Hierher kommt die ehemalige Sachbearbeiterin bei der Flugsicherung täglich für mehrere Stunden, derzeit ist es sogar ein „Fulltime-Job“. Sie sortiert und verteilt die Post, bedient die Telefone. Viele Male steigt sie die Treppe mit der scharfen Kehre pro Tag hinauf und herab, schnell und entschieden trotz des künstlichen Hüftgelenks, mit dem sie seit einem Unfall vor 25 Jahren leben muß.
In ihrem engen Büro ist reger Betrieb. Da wird gerade ein Computer eingerichtet, nebenan diktiert ein älterer Herr eine Einladung zum türkischen Linsenessen. Edith Eichhorn spielt „Feuerwehr“, vermittelt Ratsuchende an die richtige Adresse. Das ist nicht ihr einziges Ehrenamt. Sie leitet den Singkreis des Hauses, bringt älteren Menschen die Musik von Carl Orff nahe. Und im Historischen Museum der Stadt inventarisiert sie alte Schriften, eine gotische Handschrift war dabei und ein Almanach der Frankfurter Oper.
Noch als Rentnerin hat sie an der Universität studiert, „zehn Semester chinesische Kultur, acht Psychologie und etwas Gerontologie“.
Sie ist geschieden und hat eine erwachsene Tochter. Mit der Rente kommt sie gut aus: „Weltreisen kann ich nicht machen, aber ich bin ein sehr zufriedener Mensch.“ 40 Jahre habe sie bei der Behörde gearbeitet: „Ich bin gut abgesichert.“ Über die Diskussion um die Rentenreform ist sie dennoch wütend: „Die Politiker schüren die Aggression bei den jungen Leuten.“ Und: „Wir haben mit unserer Arbeit das Nachkriegsdeutschland aufgebaut, Kinder großgezogen, deren Studium finanziert.“ Und dafür würden die heutigen Alten nun als „Rentnerschwemme“ bezeichnet.
Sonja Schultzky hat zwanzig Jahre lang als Dokumentaristin bei einem großen Frankfurter Chemiekonzern gearbeitet. Der hat sie vor drei Jahren, als sie gerade 55 Jahre jung war, vor die Tür gesetzt. Sie empfand sich, trotz der Abfindung, als „rausgeschmissen“, sei aber dem firmeninternen Druck nicht gewachsen gewesen. Wenn sie, und mit ihr viele andere, nicht freiwillig gehe, hatte es geheißen, müßten eben Jüngere entlassen werden. Es sei also nicht einmal so gewesen, daß sie mit ihrem Rausschmiß wenigstens einem jungen Menschen einen Arbeitsplatz freigemacht habe; neu eingestellt wurde nämlich nicht.
Sie weiß nicht, wieviel Rente sie bekommt
Sonja Schultzky landete mit der Abfindung nicht etwa im Vorruhestand, sondern direkt in der Arbeitslosigkeit, auch wenn das beschönigend anders genannt wurde. Finanziell wird die Arbeitslosenzeit ihre Rentenhöhe drücken, ebenso wie die verkürzte Anrechnung der Ausbildungszeit. Und drittens wird sie mit dem 60. Geburtstag nicht mehr, wie ursprünglich gedacht, das offizielle Rentenalter erreicht haben, sondern als frühverrentet gelten, was ihre Bezüge wiederum mindern wird. Wegen ihres relativ hohen Verdienstes in den letzten Arbeitsjahren zahlt sie andererseits hohe Krankenkassenbeiträge. Daß sie nicht weiß, wieviel Geld sie mit, ohne oder nach der Rentenreform einmal tatsächlich zu erwarten hat, das bereitet ihr „wirklich schlaflose Nächte“: „Man wird richtig auf die Folter gespannt. Und das ist inhuman.“
Auch Sonja Schultzky ist beim „Senioren-Büro Aktiv“, weil sie nach der Entlassung „Sorge hatte, in ein tiefes Loch zu fallen“. Etwas Neues in ihrem Leben anzufangen, mit Kindern zu tun zu haben, habe sie sich gewünscht. Seit 1995 geht sie zweimal wöchentlich morgens um 7.50 Uhr in eine Grundschule und versorgt dort Kinder, deren Eltern berufstätig sind, mit einem Frühstück und vertreibt ihnen die Zeit bis zum Unterrichtsbeginn.
Aber so ganz kann sie auch ihre Vergangenheit als Dokumentaristin nicht ruhen lassen, zuletzt half sie im Frankfurter Literaturhaus bei einer Kafka- und einer Bulgakow-Ausstellung aus. Schließlich weiß auch Sonja Schultzky, daß ältere Menschen nach dem Arbeitsleben trotz vieler guter Vorsätze meist nichts Neues mehr anfangen, sondern „das machen, was sie vorher auch gemacht haben“. Das können sie schließlich.
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