: Die Lieder gehen ans Herz
Erinnerungen an eine toternste Sache: Die Videodokumentation „Solidarität mit Korea“ im Forum zeigt, wie entschieden der koreanische Arbeiterkampf schon seit Monaten geführt wird ■ Von Christian Semler
Ende Dezember im Parlament von Seoul, Südkorea. Es ist 6 Uhr Morgens, als Präsident Kim Young Sam das neue „Hire and fire“-Gesetz einbringt, das den Kündigungsschutz durchlöchert und es Arbeitgebern künftig erlaubt, die Arbeitszeit nach Wunsch zu flexibilisieren. Will jemand das Wort? Nein. Das Hämmerchen des Parlamentspräsidenten saust nieder.
Präsident Kim hatte seinen Überraschungscoup gelandet, allerdings einen klitzekleinen Faktor übersehen: die Arbeiterschaft, deren entschlossenster Teil in dem regierungsunabhängigen Gewerkschaftsverband KTUC organisiert ist und die unverzüglich zum Streik aufruft. Ehe die Riot-Police Stellung beziehen kann, haben die Streikenden die Straße besetzt. In der Kathedrale von Seoul bezieht, von einer guttrainierten Ordnungstruppe abgesichert, die Streikführung Quartier. Der prompte Haftbefehl gegen sie erweist sich als nicht vollstreckbar.
Während der nächsten fünf Wochen begleiten die Video-Teams der „Labor News Production“ die Demos und Kundgebungen des KTUC quer durch Südkorea. Militanz allerorten. Auf den Stirnbändern der Aktivisten das bekannte „Nieder mit..“ und „Weg mit..“. Die geballten Fäuste werden beim skandieren der Losungen rhythmisch gereckt. Das ist kein Erbe der kommunistischen Arbeiterbewegung, die Streikenden haben die Faust den Studentenunruhen der 80er Jahre abgeschaut. Greift die mit überdimensionalen Schildern versehene Polizei zum Schlagstock, so fliegen die Klamotten. Die Aktionsformen im ganzen Land gleichen sich aufs Haar: Demos, Blockaden, Fabrikbesetzungen. Die Musik der Kampflieder geht ans Herz, der Einfluß des nahen Rußland ist unüberhörbar. Man fühlt sich in den Pariser Mai versetzt, aber die Sache ist toternst. Transparente werden mit eigenem Blut geschrieben und einige Interviewte bekunden, für die gerechte Sache ihr Leben hinzugeben.
Im Endeffekt kann die Rücknahme der Gesetze nicht erzwungen werden, aber der KTUC ist aus dem Fight gestärkt hervorgegangen. Einige wichtige Branchen des regierungsfrommen Konkurrenzverbandes wollen übertreten. Im März geht es weiter, spätestens im Juni.
Den Leuten der „Labor News Production“ ist es nicht darauf angekommen, der Streikbewegung pfiffige Einfälle abzugewinnen. Entschlossen halten sie die Recorder auf die ersten Reihen der Demos und die Rednertribünen, nehmen die immergleichen Parolen auf. Sie sehen es als ihre Aufgabe, den Streikenden Mut zu machen. Jetzt haben sich die Krankenhaus- Angestellten angeschlossen, jetzt die Eisenbahner. Die Streikbewegung reicht in den äußersten Süden – bis nach Pusan. Und ein eher schüchterner Funktionär des Internationalen Metallarbeiterverbandes wird zur Ikone der Internationalen Solidarität.
Da das vollständig regierungskontrollierte Fernsehen als Medium ausscheidet, sind die Kassetten der „Labor News Production“ die einzigen Vermittler. Die Videos werden auf Streikversammlungen gezeigt, interessierte Werktätige in die dokumentarische Arbeit eingeführt. Ein Wunschtraum der linken Video-Aktivisten bei uns, dessen Verwirklichung, lang ist's her, mangels Arbeiterbewegung scheiterte.
„Solidarität in Korea“. Aktuelle Videodokumentationen über die Streiks der koreanischen Arbeiter und Studenten
23. 2.: 17.30 Uhr Arsenal
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