: Am Morgen ruft der Kauz
■ Altfränkische Bildkraft: Zwei Romane von Johannes Bobrowski in der Bearbeitung von Paul Gratzik im theater 89
Memelland im Parkdeck, die Weite der Weichselufer: ein wenig Trockeneisnebel und Stroh auf gleitenden Bühnenkähnen. Im technoiden Flachraum des theaters 89 wandeln Herren mit Zylindern und Rauscherock-Damen unter der niedrigen Decke einher. Sie sprechen Prosa von Johannes Bobrowski. Eine Sprache, in der die Käuzchen im Morgengrauen rufen, Nebel in Flußniederungen wallen und die Holunderbüsche im Abendlicht leuchten.
„Litauische Claviere“ und „Levins Mühle“, zwei Romane des 1917 in Tilsit geborenen und 1965 in Berlin gestorbenen Johannes Bobrowski hat sein ostpreußischer Landsmann Paul Gratzik für das theater 89 dramatisch eingerichtet. Ein Stück, eine geschlossene Geschichte ist dabei nicht herausgekommen, eher ein szenischer Bilderbogen, Impressionen aus dem Traumland Sarmatien, jenes „weite Land zwischen Weichsel und Wolga/Don“.
Die Deutschen und der europäische Osten beschäftigten Johannes Bobrowski ein Leben lang. Seine Gedichte, mit denen er in den fünfziger Jahren berühmt wurde, seine Erzählungen und Romane handeln stets vom gescheiterten Zusammenleben von Polen, Litauern, Russen, Sinti, Juden und Deutschen in Ostpreußen und seinen Grenzgebieten. „Dazu muß alles herhalten: Landschaft, Lebensart, Märchen, Sagen, Mythologisches, Geschichte. Es muß aber sichtbar werden am meisten: die Rolle, die mein Volk dort bei den Völkern gespielt hat.“ Eine verheerende Rolle von Anfang an, „eine lange Geschichte aus Unglück und Verschuldung, seit den Tagen des Deutschen Ordens, die meinem Volk zu Buche steht“.
Die vorletzte Etappe dieses Weges, der nach Auschwitz führte und mit der Vertreibung der Deutschen aus dem Osten endete, schildern die beiden Romane „Litauische Claviere“ und „Levins Mühle“. Am Johannistag des Jahres 1936 brechen Professor Voigt und Konzertmeister Gawehn aus Tilsit auf, um dem Schullehrer Potschka auf dem drüberen, litauischen Ufer der Memel einen Besuch abzustatten. Mit ihm wollen sie den Entwurf einer Oper über den litauischen Nationaldichter des 18. Jahrhunderts, den Pfarrer, Klavier- und Barometerbauer Christian Donelaitis, beraten.
In diese Rahmenhandlung stellt Gratziks Adaption, die den Untertitel „Szenen am Memeldurchbruch bei Ragnit“ trägt, als Mittelblock die Geschichte von Levins Mühle. Sie spielt 1870 an der Weichsel. Der deutsche Mühlenbesitzer Johann Winkler versucht mit allen Mitteln, seinen jüdischen Konkurrenten Leo Levin zu vertreiben. Er überschwemmt dessen Mühle und zündet sein Haus an. Erst als die kleinen Leute der Gegend, Polen, Sinti, ein aus dem Amt gejagter Schullehrer sich gegen Winkler verbünden, resigniert er und verläßt den Ort.
Siebzig Jahre später jedoch hat der deutsch-völkische Rassismus gesiegt. Voigt und Gawehn werden bei der abendlichen Rückkehr nach Tilsit von Nazis bedroht, der mißliebige Potschka umgebracht. Trotz der beengten Verhältnisse im theater 89 gelingt es Regisseur Hans-Joachim Frank, durch eine beeindruckende Raumdramaturgie (Bühne: Anne-Kathrin Hendel, Lichtdesign: Alexandre von Myznikov) und Bobrowskis naturnah lyrischer Sprachkulisse den Eindruck einer weiten Flußlandschaft zu erwecken. Aus dem prononciert realistisch agierenden 20köpfigen Ensemble ragen Heike Jonca als Frau des Johann Winkler und Gabriele Heinz als trunksüchtig-resignierte Predigergattin Josepha hervor. Obwohl sie ihre mickrigen Ehegatten inständig verachten, sie im Hause kujonieren, verstummen sie doch loyal bei deren öffentlichen Händeln.
Aber die Sprache, in ihrer altfränkischen Bildkraft der Gewinn des Abends, stellt zugleich auch seine größte Belastung dar. Immer wieder sprengt sie den Fortgang der Handlung auf und sucht sich für den Strom ihrer epischen Beredsamkeit ein neues Bett, in dem die Konflikte hinter possierlichen Genreszenen verschwinden. Insgesamt ein Abend, der auf den Dichter Bobrowski hinweist, aber sein Thema, an die historisch gegebene Alternative eines friedlichen Zusammenlebens der Völker zu erinnern, beachtlich scheiternd verfehlt. Nikolaus Merck
theater 89, Torstraße 216, nächste Aufführungen, 1., 4., 7., 8., 14. 3., jeweils 20 Uhr
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