: Kafka für zwei „Jetsetter“aus Finnland
■ Im Gespräch mit der taz: Das Paar Anu Komsi (Sängerin) und Sakari Oramo (Geiger und Dirigent)
Sie haben einen siebenjährigen Sohn, sind verheiratet und jetteten bisher getrennt für ihre Karriere durch die Welt: Das Gesangs- und Dirigentenpaar Komsi und Oramo. Geiger Sakari Oramo ist gerade zum Chefdirigenten des berühmten City of Birmingham Symphony Orchestras gewählt worden. Am Sonntag abend interpretieren beide gemeinsam im Bremer Concordia eines der bedeutendsten Werke des ungarischen Komponisten Györgyi Kurtag: die Kafka-Fragmente für Sopran und Violine. Oramo und Komsi verraten der taz, wie sie nach jahrelang getrennter Karriere jetzt einen gemeinsamen Weg gehen wollen.
taz: Frau Komsi, Herr Oramo, Sie beide machen seit Jahren selbstverständlich auch Neue Musik. Ist die Ausbildung in Finnland anders? In Deutschland sind die Berührungsängste in traditionellen Musikhochschulen noch immer groß.
Sakari Oramo: Ich habe schon vor über zehn Jahren ein Kammerensemble für neue Musik gegründet, es heißt „Avanti“. Wir haben uns durchgesetzt und heute ist es selbstverständlich.
Wie kamen Sie ausgerechnet zu Kurtg?
Anu Komsi: Also das ist unser Schubert. Und zwar wie er mit Text umgeht ...
Oramo: Ich finde bei Kurtg so spannend, wie er beweist, daß mit einfachen, traditionellen Tönen noch längst nicht alles gesagt ist. Er muß keine Kratzer machen...und ist doch unglaublich aktuell.
Die ausgewählten Kafka-Texte sind ja keine hehre Dichtung, sondern Alltagstexte, Seltsamkeiten, Banalitäten und Schrecken des Lebens: Die Vertonungen sind ganz kurz, einmal nur zehn Sekunden. Wie war die Annäherung, der Interpretationsprozeß?
Komsi: Wir leben mit diesem Stück seit zehn Jahren. Erst konnte ich rein technisch die enormen Anforderungen der tiefen Koloraturen nicht schaffen. Aber nach der Geburt hat meine Stimme die Tiefe dazugewonnen.
Mit Ihrer Zusage für Birmingham, Herr Oramo, kommen Sie ja nicht an irgendein Orchester, sondern an eines, das Simon Rattle geprägt hat. In einer Stadt der sozialen Brennpunkte gestaltet das Orchester Musik für Arbeiter und Schulprojekte. Hat Sie auch dieses angezogen?
Oramo: Ja, aber nicht an erster Stelle. Und ich werde gegenüber dieser gewachsenen Tradition auch so viel Respekt haben, daß ich erst einmal zuschaue. An sich werde ich natürlich genau diese Dinge auch weiterentwickeln.
Wie steht es da mit dem Repertoire?
Ich will auf jeden Fall nicht immer dasselbe machen. Meine erste Idee ist: die englische Musik der 20ger und 30ger Jahre. Das haben die noch nie gemacht.
Sie sind vom Geigen zum Dirigieren gekommen. Warum?
Oramo: Das ist ziemlich banal. Ich habe Dirigieren nur aus Spaß gelernt, ohne Ambition. Dann mußte ich auf einmal mit Brahms erster einspringen...mit zehn Minuten Probe...
Wie bitte? Nach zehn Minuten Probe Brahms Erste?
Komsi: Du mußt aber dazusagen, daß das Dein Examensstück war...
Oramo: Klar. Ich liebe es zu sagen, die Situation ist noch immer offen. Ich spiele viel zu gerne Geige.
Frau Komsi, es stehen Entscheidungen an. Ihr Sohn braucht sicher eine längerfristigere Bleibe.
Komsi: Jeden Tag entscheide ich zehnmal anders, wo unser Hauptwohnsitz dann sein soll. Unser Sohn probt sein finnisches Nationalgefühl. Und jeden Tag entscheide ich mich zehnmal gegen die Oper, weil sie einen bis in den Alltag hineinverfolgt. Das schrecklichste Erlebnis war jetzt: Ich werde in einer Lübecker Aufführung von Lulu, in der mich gerade Jack the Ripper umgebracht hat, überfallen. Gott sei Dank konnte ich weglaufen.
Ich war mal Leistungssportlerin mit der Disziplin 100 Meterlauf.
Fragen: Ute Schalz-Laurenze
Aufführungen am Sonntag, 2., und Freitag, 7. März, um 20 Uhr im Bremer Concordia.
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