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Keinem das Wasser reichen

Der viertelmillionste Hamburger Wasserzähler und die Spaltung der Gesellschaft in Wannen- und NichtwannenbesitzerInnen  ■ Von Silke Mertins

„Baden? Wieso denn baden? Du kannst doch duschen!“Früher wäre das nicht passiert. Früher, bevor sich die neuen Wasserzähler zu Tausenden ihren Weg in Hamburgs Wohnungen bahnten, gab es noch soziale Gerechtigkeit unter den Wannen- und NichtwannenbesitzerInnen. Klar konnte man sich damals bei der Freundin wohlig mit Schaum und Quietschente im warmen Wasser strecken oder die Wäsche bei der Beziehungskiste waschen. Oder so oft aufs Klo gehen, wie man wollte. Oder Besuch übernachten (und auch baden) lassen, ohne daß eine WG-Krisensitzung einberufen wurde.

Heute gibt es Wasserzähler. Statt einer Pauschale pro Wohnung und Anzahl der Personen muß man jeden einzelnen Tropfen Naß bezahlen. Warm und kalt. Jede Gemütlichkeit ist dahin, sobald der Badewannenhahn aufgedreht ist und der Zähler losrast. Panische Blicke, nicht frei von Geiz, werden auf ihn geworfen, wenn man sich als Besucherin anschickt, sich länger, als es die Reinlichkeit erfordert, berieseln zu lassen. Und es wird immer schlimmer.

Den viertelmillionsten Wasserzähler ließ der Geschäftsführer der Hamburger Wasserwerke (HWW), Hanno Hames, gestern vom sozialdemokratischen Umweltsenator Fritz Vahrenholt in einer Wohnung in der Max-Brauer-Allee anbringen. („Sie müssen rechts rum drehen, Herr Senator.“) Beide sind auch noch stolz darauf, an der fortschreitenden Spaltung der Gesellschaft in geizige WannenbesitzerInnen und wannenlose Habenichtse maßgeblich beteiligt zu sein. Hamburg habe in diesem Prozeß eine „Vorreiterrolle“übernommen, und das sei „in aller Bescheidenheit kein Pappenstiel“gewesen, gesteht Hames. Der Wasserverbrauch pro Hamburger konnte von 142 (1986) auf 127 (1996) tägliche Liter gesenkt werden und sei damit niedriger als der Bundesdurchschnitt.

„Phantastische Sparprozesse“nennt der Umweltsenator die schrecklichen sozialen Folgen der 250.000 Wasserzähler. Weil die Liebe zur Umwelt durchs Portemonnaie geht, sollen immer mehr Haushalte umgerüstet werden. „Eine Million“sollen es bis zur Jahrtausendwende werden. „Im Jahre 2000 sehen wir uns wieder“, scheint Vahrenholt davon auszugehen, daß er trotz allem auch nach den Wahlen im September Umweltsenator bleibt.

Diese Ankündigung ist gleichsam das Todesurteil für den einstmals so großzügigen homo sapiens hanseaticus. Keiner will mehr dem anderen das teure Wasser reichen. Freundschaften werden zerbrechen, Paare sich trennen, Familien auseinandergerissen. Vereinzelung, soziale Kälte und Kriminalität kommen auf uns zu. Nicht einmal durch die von Schließung bedrohten Badeanstalten kann dieser Trend aufgehalten werden.

Nur im Müll gibt es noch Gleichheit und soziale Gerechtigkeit. Denn wer auch immer viel produziert, wieviele Touristen auch immer ihren Abfall abladen, die Kosten werden von der Gemeinschaft getragen. Tüte um Tüte kollektive Verantwortung.

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