: "Noch viel heiße Luft"
■ Projektleiter Ekkehart Gerlach, Vebacom, über die Infocity NRW
taz: Am kommenden Monatg beginnt für vierzig ausgewählte Testhaushalte in Düsseldorf und Köln die Zukunft. Der Veba-Konzern hat sie über seine Tochterfirma Vebacom an das 220 Kilometer lange Glasfaser-Hochleistungsnetz der sogenannten Infocity Nordrhein-Westfalen angeschlossen. Nachmittgas um 15 Uhr werden die Leitungen offiziell freigeschaltet. Was können die Kunden dieses Pilotprojekts erwarten?
Ekkehart Gerlach: Das weiß ich auch noch nicht. Es würde mich selber sehr interessieren.
Uns auch. Deswegen die Frage an Sie, den Leiter des Projekts.
Unsere Content-Partner beteiligen sich an Infocity, weil sie ausprobieren wollen, wie Internet- Inhalte in Zukunft ohne jede technische Restriktion bei der Bandbreite aussehen werden. Wir können über unser Netz Hochgeschwindigkeitsinhalte verbreiten, also Bilder und auch bewegte Bilder mit viel Interaktivität.
Was heißt das?
Interessanterweise stehen gerade die Information-on-demand- Dienste im Vordergrund, obwohl man ja meinen könnte, daß man Informationen auch an anderen Stellen bekommen kann. Da muß man sich sehr genau überlegen, ob das Sinn ergibt. Wichtig für uns ist, daß diese Informationen bepreisbar sind. Außerdem werden Games eine wichtige Rolle spielen. Wir dürfen die Jugendgruppen nicht vernachlässigen, aber auch ältere User könnten sich zum Beispiel für Schachspiele übers Netz interessieren. Außerdem gibt es Projekte im Bereich Telelearning und Telemedizin. Telearbeit steht bei uns nicht im Vordergrund.
Spiele und aktuelle Informationen gibt es auch im Internet. Wofür braucht man da ein neues Hochgeschwindigkeitsnetz?
Es gibt tatsächlich jede Menge Dienste, die keine Hochgeschwindigkeitsnetze brauchen. Um die kümmern wir uns nicht. Es geht um die Inhalte, die mit dem heute bestehenden Netz nicht im Stau enden. Dazu gehören alle Angebote, die eine optische Anmutung brauchen. Die Rheinische Post Online ist zum Beispiel deswegen so erfolgreich, weil sie sehr reduziert ist und keine speicherintensiven Bilder und Illustrationen hat. Die würden natürlich sehr gern mehr Grafik machen, und das wäre ein typischer Fall für unser Netz.
Aber in der Infocity würde die Zeitung nur wenige Testhaushalte erreichen.
Die Rheinische Post will bei uns genau das ausprobieren: Gibt es überhaupt Nachfrage für Dienste, die solche Mehrwerte bringen?
Was müssen die Endkunden dafür bezahlen?
Eine monatliche Zugangsgebühr von 9,95 Mark. Alles andere ist Sache der Content-Anbieter. Wenn ein Unternehmen meint, daß es so tolle Inhalte hat, daß es sehr hohe Preise verlangen kann, dann muß es das ausprobieren. Und natürlich muß man erst mal einen PC haben, während die Vernetzung von uns organisiert wird.
Welches Modell muß es denn sein?
Ein Multimedia-Standard- Computer: 133-Megahertz-Pentium-Chip, 1,2-Gigabyte-Festplatte, 24 Megabyte Arbeitsspeicher. Außerdem eine Ethernet-Karte, eine MPEG-1-Karte und ein Kabelmodem, denn nur über das TV-Koax- Kabel bekommt man die Geschwindigkeit von 1,5 Megabit pro Sekunde, die wir brauchen. Die Modems kosten voraussichtlich 1.000 Mark. Alles in allem würde man für diese Ausstattung knapp 4.000 Mark bezahlen.
Wird es auch einen fertig eingerichteten Infocity-Computer geben, den man nur noch anschließen muß?
Ein ganz klares Jein. Wir werden einen PC zu einem attraktiven Preis anbieten. Ich schätze, daß wir Ende März die ersten Geräte liefern können, denn die Kabelmodems haben lange Lieferzeiten. Es gibt keine europäischen, sondern nur einige wenige amerikanische Anbieter, die sie liefern können.
Wir wird die Benutzeroberfläche von Infocity aussehen?
Unser User wird zunächst einmal die ganz normale Windows- Oberfläche sehen. Wenn er dann auf Infocity umschaltet, bekommt er den Info-City-Navigator mit einigen beschränkten Befehlen auf den Bildschirm, eine Art reduzierter Netscape-Browser.
Das ganze Konzept klingt ein bißchen nach dem Pilotversuch, mit dem Time Warner in Orlando, Florida, gescheitert ist: ein großer Konzern gibt eine technische Infrastruktur vor, um zu testen, ob es eine Nachfrage gibt.
In Orlando wurden viele Fehler gemacht. Wir gehen im Gegensatz zu Time Warner von normierten Standardgeräten aus. Es ist aber richtig, daß wir erst die Technik aufbauen und dann herauszufinden versuchen, wo eine Nachfrage sein könnte. Wenn wir wüßten, was die Leute wollen, würden wir kein Pilotprojekt machen, sondern eine GmbH gründen und anfangen Geld zu verdienen. Aber beim Thema Multimedia gibt es doch einen unglaublichen Hype und viel heiße Luft. Wir wollen herausfinden, wo wirklich Bedarf besteht.
Und wenn niemand Ihr Netz braucht?
Dann ist das eine ganz wichtige Erkenntnis für alle beteiligten Partner.
Und dafür hätte es sich auch gelohnt, einen dreistelligen Millionenbetrag zu investieren?
Ja, es hätte doch noch viel mehr gekostet, ein flächendeckendes Hochgeschwindigkeitsnetz und entsprechende Inhalte aufzubauen. Wenn jetzt herauskommt, daß diese Multimedia-Angebote niemand will, dann sind wir doch froh, daß wir dieses Geld nicht in die Hand genommen haben. Interview: Tilman Baumgärtel
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