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Entlassungen ohne Ende

Knapp 4,7 Millionen sind ohne Job, jedes dritte Unternehmen plant weitere Entlassungen. DGB kritisiert „Schieflage“ angesichts hoher Unternehmensgewinne und Exporte  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Die alte Höchstmarke hatte nur einen ganzen Monat Bestand. Mit 4,67 Millionen Arbeitslosen Ende Februar ist ein neuer Nachkriegsrekord erreicht. Das ist kein Wunder. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden sind im Jahr 1996 eine halbe Million Stellen gestrichen worden. In den letzten fünf Jahren summierte sich der Arbeitsplatzabbau auf mehr als zwei Millionen.

Ein Ende ist nicht in Sicht. Bei der Frühjahrsumfrage des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) gaben nur zehn Prozent der befragten 25.000 Firmen in Ost und West an, ihr Personal im nächsten Halbjahr aufstocken zu wollen. Jedes dritte Unternehmen will demnach weitere Arbeitsplätze abbauen.

„Bei diesen Zahlen dürfen wir nicht in die Knie geben“, machte sich der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Bernhard Jagoda, selbst Mut. Trotz des milden Februarwetters stiegen die Arbeitslosenzahlen bundesweit noch einmal um 13.600 gegenüber dem Vormonat an. Das sind 400.000 mehr als vor einem Jahr. Die Arbeitslosenquote beträgt 12,2 Prozent. Für diesen weiteren Anstieg machte Jagoda die fehlenden Impulse aus der Konjunktur und die „schwierige Lage am Bau“ verantwortlich.

Die miese Situation in der ostdeutschen Bauwirtschaft ist auch verantwortlich dafür, daß die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in Ost und West nicht parallel läuft. Während die 3,26 Millionen Arbeitslosen in den alten Bundesländern im Vergleich zum Januar einen Rückgang um 8.200 bedeuten, waren in den neuen Ländern gegenüber dem Vormonat noch einmal 21.800 Menschen mehr ohne Job. Im Westen blieb die Arbeitslosenquote daher unverändert bei 10,6 Prozent, im Osten kletterte sie um 0,2 auf jetzt 18,9 Prozent.

Erschwerend kommt dazu, daß angesichts der Sparmaßnahmen die entlastende Wirkung von Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik in Ost und West immer geringer wird. Betrug sie vor einem Jahr noch knapp 1,6 Millionen, sind es jetzt nur noch 1,33 Millionen. Allein bei den Weiterbildungsmaßnahmen liegen die aktuellen Zahlen schon 62.900 unter denen des Vorjahres.

Angesichts dieser Zahlen sprach Jagoda von einer „unverändert großen Herausforderung“. Die bislang „vernünftige Tarifpolitik“ oder das Beschäftigungsförderungsgesetz reichten bei weitem nicht aus. Jetzt sei eine „konsequente Innovationspolitik“ und ein Investitionsprogramm nötig. Der BA-Präsident will jedoch nicht den Staat in die Pflicht nehmen. Bei einem Geldvermögen von 4,5 Billionen Mark in privater Hand sei es an der Zeit, Anreize für Risikokapital zu schaffen. Nach der DIHT-Umfrage wollen nur 19 Prozent der Firmen im nächsten Halbjahr ihre Investitionen erhöhen und diese dann vor allem zur Rationalisierung verwenden.

Der DGB fordert ein Konjunkturprogramm. DGB-Vorstandsmitglied Michael Geuenich rief die öffentliche Hand auf, die für die nächsten Jahre geplanten Investitionen vorzuziehen. Die Bundesbank solle vor allem zur Ankurbelung des Wohnungsbaus die Zinssätze weiter senken. Er kritisierte die „totale Schieflage im sozial-ökonomischen Gefüge der Bundesrepublik“. Auf der einen Seite gäbe es Rekordarbeitslosigkeit, auf der anderen aber „hohe Unternehmensgewinne, sensationelle Kursrekorde an den Aktienbörsen und ein Rekordniveau bei den Exporten“.

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