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Der Boris ist ein Tüftler mit musikalischem Taschenuniversum

■ In besten Momenten wie eine lange Bahnfahrt: „Pocket Universe“, das neue Album des Schweizer Techno-Duos Yello, greift entschieden nach Spektakulärem

Von den unendlichen Weiten der Yello-Suite im Hamburger Atlantic-Hotel fällt der Blick auf die morgendliche, zugefrorene Alster, Hunderte auf dem Eis aufgestellte Würstchenbuden und endlose Autostaus. „Manchmal habe ich den Eindruck, der Mensch hat Angst vor sinnloser Großartigkeit“, dehnt Dieter Meier, Vokalist des schweizerischen Techno-Duos Yello, seine Worte und will damit zum Ausdruck bringen, daß er sinnlose Großartigkeit als inspirierend und beeindruckend empfindet, nicht jedoch als knechtend und einschüchternd. „Yello“, sagt Meier langsam, sein Blick ruht auf dem Kronleuchter, „das ist wundervolle Sinnlosigkeit.“ Das neue (Konzept-)Album seiner Band mit dem bedeutungsvollen Namen „Pocket Universe“ ist dennoch ein bißchen langweilig ausgefallen.

Als Yello vor unfaßbaren sechzehn Jahren noch als Trio eine Schallplatte mit dem Titel „Claro Que Si“ veröffentlichten, vertraten der Klangsucher Boris Blank und sein aus der Aktionskunstwelt stammender Partner Meier noch ein revolutionäres musikalisches Benehmen. Mit ausgefeilten digitalen Pop-Kompositionen, visuell perfekt inszenierten Videos und atonalen Störgeräuschen verschaffte sich das Studioprojekt internationale Aufmerksamkeit. Daß 1995 populäre Techno-DJs an dem Versuch scheiterten, „Hands On Yello“ zu legen, also ausgewählte Stücke der seit fast 20 Jahren aktiven Eidgenossen zu remixen, mag als Indiz dafür gewertet werden, wie weit Yello Anfang der 80er Jahre von jedem Genredenken entfernt waren (und wie sehr dies den Remixern zu schaffen machte), und gleichzeitig, welche Bedeutung der kontinuierlich kommerziell erfolgreichen Gruppe beispielsweise neben den Düsseldorfer Paten des Techno, Kraftwerk, zugemessen wird. Vielleicht hätten Yello 1985 mit dem Musikmachen aufhören sollen.

Von solcherlei künstlichen Hakenschlägen zur Legendenbildung will Dieter Meier verständlicherweise nichts wissen. „Jede Schwingung in der Musik von Yello, jeder Atemzug, den ich tätige, ist ein Widerstand gegen die Sinnstiftung!“ gibt er zu Protokoll. „Der Boris ist ein Tüftler, der monatelang seine Klangbilder ohne den Druck einer Finalisierung entwirft, und ich betrete das Studio zu einem späten Zeitpunkt wie ein Fremder und lasse mich von seinem musikalischen Taschenuniversum inspirieren. So haben wir immer gearbeitet, und so werden wir auch immer weiterarbeiten.“

War Yellos 1994er Album „Zebra“ allerdings der Aufbruch ins Internet („www.yello.ch“) mit frei verfügbaren Soundsamples und einer demonstrativ zur Schau gestellten Infragestellung des Begriffs vom „Originalkunstwerk“, so greift „Pocket Universe“ heute nach weniger Spektakulärem: In seinen guten Momenten besitzt das Album eine ausdauernde Gleichmütigkeit, die an die Ruhe langer Bahnfahrten erinnert. Immer dann jedoch, wenn die Repetition durchbrochen wird, sei es durch die Rezitation von Manifesten an das Weltall, sei es durch die allzu kalkuliert daherkommende Singleauskopplung „To The Sea“, verspielt das Duo Potential. Max Dax

Yello: „Pocket Universe“, Mercury.

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