■ Normalzeit: Sturzbetroffen – politisieren ...
Für Gewerkschafter und Intellektuelle gilt noch immer das alte afrikanische Sprichwort: „Wenn eine Ziege da ist, darf man nicht an ihrer Stelle meckern!“ Es zeigt sich nämlich, so der Sozialforscher Ronald Hitzler, „daß persönliche Betroffenheit den Zugang zum Feld und die routinierte Teilnahme im Feld erleichert“. Aber, so fügt der Wissenschaftler hinzu, und darüber freut sich die FAZ ganz besonders: Die dadurch erreichte Vereinfachung der Datenerhebung verursacht deutliche „Mehrkosten“ bei der Datenauswertung, „weil die dabei unabdingbare Distanzierung nicht nur von den Alltagsbelangen des Wissenschaftlers, sondern auch von den pragmatisch- ideologischen Relevanzen, die im je untersuchten Feld gelten, durch über das Forschungsinteresse hinausgehendes Engagement erschwert wird“.
Nun lassen sich natürlich die „Mehrkosten“ bei starkem Engagement leichter wegstecken als bei reinem Forschungsinteresse. Aber vor allem wird bei diesem „Einerseits-Andererseits“ übersehen, daß die „Hysterie am Anfang jeder Wissenschaft steht“ (Jacques Lacan). Es sind fast immer die sogenannten Betroffenen, die das Problem zuallererst artikulieren – und später kommen die Wissenschaftler, Journalisten und Politiker angewackelt und machen ein „Thema“ daraus.
In der Art schien zunächst auch der erneute Hungerstreik der Belegschaft des Batteriewerks Batropa/Belfa zu funktionieren. Er hatte dann trotz mangelnder solidarischer Resonanz Erfolg, als die Treuhand/BvS und das Land Berlin noch einmal je 1,5 Millionen Mark lockermachten, um zusammen mit dem „frischem Geld“ (ebenfalls 1,5 Millionen) des Belfa-Alleingesellschafters Hubert Bockeler und seiner Banken das Unternehmen mit noch 43 Beschäftigten zu „retten“.
13 Tage hungerten dafür 12 Belfa-Mitarbeiter, die letzten sieben Tage schloß sich ihnen ihr ehemaliger Betriebsratsvorsitzender Hanns-Peter Hartmann an, der inzwischen für die PDS im Bundestag sitzt, und dies, weil Boeckeler ihn nach dem ersten erfolgreichen Hungerstreik gekündigt hatte. Jetzt saßen sie einträchtig zwischen den Campingliegen und spielten zusammen Skat. „Dieser Hungerstreik war aber auch deswegen ein absolutes Absurdum“, so ergänzte ein ehemaliger Betriebsrat, „weil er primär auf Angestelltenbasis gelaufen ist. Die waren diesmal im Gegensatz zu 1993 der Motor des Hungerstreiks, weil sie im Falle eines Konkurses für 3.000 DM netto oder mehr nie wieder was auf dem Arbeitsmarkt gefunden hätten. Dabei kostet die Weißkittel-Truppe nur noch was und bringt nichts mehr ein!“
Auch der neue Betriebsratsvorsitzende Hajo Kiel ist Teil dieser „Truppe“. Hinzu kommt, daß von der konzertierten Finanzspritze erst einmal die Banken mit 1,8 Millionen Mark profitieren und dann noch Varta mit 70.000 Mark. Auch die Lohnrückstände des Unternehmers gehen inzwischen in die Hunderttausende. Daß ich diese überhaupt in einem Hungerstreik-Artikel erwähnt hatte, fanden einige Belfa-Leute bereits „kontraproduktiv“, darüber hinaus begriffen sie – zu Recht – meine Unterwerfung unter die taz-Doktrin: „Ereignis-Priorität“ und „szenischer Einstieg“ – als „allzu distanzierte Berichterstattung“. Ähnlich schimpften sie dann nur noch über den Treptower CDU-Fraktionsvorsitzenden, der gemeint hatte, er fände es ungeheuerlich, daß sie für Arbeitsplätze hungern würden: „So etwas macht man nur, wenn es um Menschenrechte geht!“ Als sie ihn fragten, ob er noch alle Tassen im Schrank habe, meinte er: „Ihr habt doch nichts dazugelernt, ihr seid immer noch die alten Stalinisten!“ Das sagte der CDU-Dumpfmeister ausgerechnet zum ehemaligen Bürgerrechtler Hajo Kiel. Meinen Text bezeichnete dann wiederum ausgerechnet der altneue Geschäftsführer Krämer als „unsolidarisch“ gegenüber ihrem Kampf. Ein ehemaliger Belfa-Mitarbeiter meinte anschließend, all diese „Absurditäten“ wären nicht passiert, wenn die IG Metall – als Scharnier zwischen den „Datenerhebern“ und den „Datenauswertern“ – mehr als nur ein „Soli- Fax an die Presse“ geschickt hätte. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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