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Die SPD steckt in der Krise. Der wirtschaftspolitische Sprecher der nordrhein-westfälischen SPD-Landtagsfraktion, Bodo Hombach, beklagt den Mangel an Alternativen in seiner Partei. Als Vorbild preist der frühere Wahlkampfmanager die gewande

taz: Herr Hombach, die Bonner Regierungskoalition stolpert von Krise zu Krise, ohne daß die SPD davon nachhaltig profitiert. Woran hapert es?

Bodo Hombach:Derjenige, der die Bundesregierung in der Krise sieht und nach einer konzeptionellen und personellen Alternative sucht, wird durch die SPD nicht hinreichend bedient. Es gibt noch keinen aus sich selbst heraus überzeugenden Gegenentwurf, dem die Menschen aufgrund ihrer eigenen Lebenserfahrung wirklich trauen. Die Alternativlosigkeit schmerzt. Die Meinungsumfragen haben wir immer gewonnen. Wenn es aber zum Schwur kommt, dann heißt die Frage: „Könnt ihr die Probleme besser lösen?“

Sie selbst haben die SPD noch unlängst als „unerträglich rückwärtsgewandt“ gegeißelt. Wo muß die Renovierung beginnen?

Wenn wir unsere Gesellschaft erneuern und zukunftsfähig machen wollen, dann brauchen wir eine offene, neugierige, pragmatische SPD, die dem Hang zum linken Populismus widersteht und nicht einer Reideologisierung in der Wirtschaftspolitik verfällt. Es ist nun einmal das Schicksal einer Oppositionspartei, neue Wähler gewinnen zu müssen. Die finden sich für die SPD nur in der Mitte zu Lasten der CDU. Die beste Programmatik hilft indes wenig, wenn sie nicht von kompetenten und glaubwürdigen Personen vertreten wird, denen man entschlossenes Handeln auch zutraut. Dazu gehört, daß die Führungspersonen auch vor innerparteilichen Tabus nicht zurückschrecken und für ihre Sachlösungen gegen parteiinterne Widerstände kämpfen. Die Populariät des britischen Labour-Vorsitzenden Tony Blair rührt nicht zuletzt daher, daß er in der Partei selbst keiner Kontroverse ausgewichen ist. Er hat sich inhaltlich durch die Labour Party durchgekämpft.

Die Realität in der SPD sieht anders aus. Beispiel: SPD-Jugendparteitag in Köln. Dort haben Ihre beiden Lieblings-„Tabubrecher“ Gerhard Schröder und Wolfgang Clement bei der Frage der Ausbildungszwangsabgabe eine deftige Niederlage eingesteckt.

Das war ein ganz falsches Signal, weil dort die dirigistischen Antragsleichen aus den siebziger Jahren eine Art Wiedergeburt erfuhren. Wer es gut meint mit der SPD, darf es bei der Klage über diese Zustände allerdings nicht belassen, sondern der muß sich der Aufgabe stellen, den Erneuerungsprozeß durch die SPD zu gehen. Eine Strategie, die bestehende SPD mit ihrer Beschlußlage und ihren Strukturen quasi in Form eines Bypasses mit Hilfe der Medien einfach zu umgehen, wird nicht funktionieren. Sie scheitert spätestens dann, wenn die politische Legitimation der handelnden Personen durch Parteigremien erforderlich ist. Deshalb gibt es keine Alternative dazu, innerhalb der SPD um vernünftige Positionen zu kämpfen. Viele warten geradezu darauf.

In der SPD?

Ja sicher! Schauen Sie sich doch den jüngsten Auftritt von Gerhard Schröder im Revier vor Sozialdemokraten, die in der kommunalen Praxis stehen, an. Da war eine ungeheure Bereitschaft zu spüren, sich mal jenseits des üblichen Trotts und der gestanzten Antworten der Realität zu nähern.

Sie beklagen eine „Reideologisierung der Wirtschaftspolitik“, durch die Lösungen verhindert werden. Auf vielen Feldern zählen Sie im Verein mit Schröder und Clement selbst zu den Blockierern. Etwa bei der Ökosteuer. Davon wollen Sie nicht viel wissen.

Quatsch! Ich halte das Konzept, Ressourcenschonung durch Besteuerung zu erzwingen und gleichzeitig die Arbeit zu entlasten, im Grundsatz für ein außerordentlich geeignetes Prinzip. Das ist ganz zweifellos der richtige Ansatz.

Aber Sie wollen die Steuer doch nicht einführen?

Man kann den Weg unter den konkreten Konkurrenzbedingungen in Europa nicht im nationalen Alleingang beschreiten. Jedenfalls dann nicht, wenn man tiefgreifende ökologische Strukturveränderungen anstrebt und die Steuer auch auf die im Produktionsprozeß eingesetzte Prozeßenergie erhoben werden soll. Das würde sofort zu einer Verlagerung von Produktionsstandorten führen, die wir uns angesichts von 4,7 Millionen Arbeitslosen nicht leisten können. Wir müssen das Problem deshalb mindestens europaweit anpacken.

Wer auf eine einheitliche Ökosteuer in Europa wartet, wird sie nie bekommen.

Wenn wir eine wirkliche Lösung für die ökologischen Probleme der Industriegesellschaften anzubieten haben, dann werden auch andere Industriegesellschaften in Europa sie übernehmen. Da bin ich ganz optimistisch. Im eigenen Land können wir uns auf eigene Faust zwischenzeitlich nur in sehr kleinen Schritten in Richtung Ökosteuer bewegen. Die sollten wir aber auch gehen. Beispiele finden wir in Ländern wie Dänemark.

Wollen Sie mit Minischritten die von Ihnen beklagte „blockierte Gesellschaft“ in Schwung bringen?

Wir sind in Deutschland Weltmeister, Blockaden aufzubauen. Das ist wie beim Malefiz-Spiel. Die Popularität dieses Spiels scheint mir symbolisch zu sein für unsere Gesellschaft, die lieber Spielzüge anderer blockiert, anstatt ein eigenes, intelligentes Spiel aufzuziehen. Ein schlimmes Beispiel für diese Art Blockadepolitik hat die Bundesregierung beim Umgang mit dem von den Gewerkschaften angebotenen Bündnis für Arbeit abgegeben. Dadurch, daß man die Gewerkschaften mit ihrem Konsensangebot vor die Pumpe hat laufen lassen, wurden auch sie in die Blockade getrieben. Das war ein zentraler politischer Fehler der Bundesregierung. Ungemein erschwert wurde dadurch, Probleme im Konsens zu lösen.

Sehen Sie neue Wege, zu einer Verständigung zu kommen?

Die objektive Lage auf dem Arbeitsmarkt schreit geradezu danach. Nach der eindrucksvollen Demonstration von gewerkschaftlicher Gegenmacht im vergangenen Jahr müßte eigentlich auch dem letzten Hardliner in Bonn ein Licht aufgegangen sein, daß der Staat den Interessenausgleich zu moderieren hat und sich nicht als Hilfsorgan einer gesellschaftlichen Gruppe mißbrauchen lassen darf. Diese Mittlerrolle muß die Regierung rigoros spielen. Wir müssen diese politische Kultur, die die gesamte Nachkriegsrepublik zum Wohle aller geprägt hat, wieder beleben. Wenn es hart auf hart ging, wurde letztlich im „rheinischen Kapitalismus“ immer der Ausgleich gesucht.

Schluß mit der „Konsenssoße“, sagt BDI-Chef Olaf Henkel. Hat sich diese Kultur angesichts der verschärften Globalisierung nicht grundsätzlich überlebt?

Auch große Geister können irren. Ich hoffe, daß das zu zahlende Lehrgeld für diesen von der Bundesregierung maßgeblich beförderten Irrtum nicht zu hoch ausfallen wird. Praktikable Lösungen zu finden, das geht nur im Wege einer gesellschaftlichen Übereinkunft. Schauen Sie sich doch die Lage in Skandinavien oder in Holland an. Die haben die Blockaden im Konsens aufgebrochen. Aber da, wo die gesellschaftliche Konfrontation hart ist, tritt man noch immer auf der Stelle. Es sei denn, es handelt sich um Gesellschaftsordnungen, deren ökonomische Dynamik mit autoritären politischen Strukturen einhergeht. In unserer demokratischen Gesellschaft sind die Kräfte einigermaßen austariert. Da gibt es zum Glück nicht die Möglichkeit, daß eine Seite mit dem Kopf durch die Wand zum Erfolg kommt. Das haben die deutschen Konservativen nicht berücksichtigt. Auf einer riesigen Welle der Individualisierung schwimmend, glaubten sie schon, das Ende des kollektiven Interessensausgleichs sei gekommen. Die haben ihren Ludwig Erhard [CDU- Wirtschaftsminister in den 50/60er Jahren – die Red.] schon lange vergessen und sind jetzt dabei, ihren neoliberalen Kurs der sozialen Kastration noch weiter zu verschärfen. Dabei zeichnen sich die „Jungen Wilden“ der CDU durch besonders schrille Töne aus, aber das Pendel schlägt zurück. Selbst dem härtesten Individualisten dämmert inzwischen, daß sein persönliches Wohlergehen unmittelbar vom sozialen Frieden abhängt.

Sie wollen Erhard jetzt für die SPD vereinnahmen?

Wir haben leider die Gelegenheit des kürzlich begangegen 100jährigen Erhard-Jubiläums nicht genutzt, um deutlich zu machen, daß die Union Erhard in den letzten Jahren verraten und in einen Neoliberalen umgefälscht hat. Dabei war Erhard ein glasklarer Ordoliberaler, der die Entwicklung der freien Marktdynamik immer nur in einem staatlich gesetzten Rahmen wollte und jeden Maßhalteappell mit dem Anspruch „Wohlstand für alle“ verbunden hat. Mit der neoliberalen Wohlfahrtsgesellschaft hatte Erhard nichts im Sinn. Ich könnte mir heute durchaus ein Wahlplakat nach dem Motto vorstellen, „Ludwig Erhard – Rettet seine Ideen, Eure SPD“.

Wenn Sie die SPD inzwischen so nah bei Ludwig Erhard wähnen, müßte sich doch ein tragfähiges Fundament für eine große Koalition in Bonn finden lassen? Ließen sich mit einer „geläuterten“ CDU nicht die Blockaden viel leichter aufbrechen?

Wenn die zusammenbrechenden Staatsfinanzen und Arbeitslosenzahlen uns nur diesen Lösungsweg ließen, dann hätte die demokratische Linke in diesem Land beim Aufbau einer überzeugenden Alternative versagt. Wir müßten dafür einen sehr hohen Preis bezahlen.

Welchen?

In Holland hat die große Koalition den beteiligten Parteien ein Drittel ihrer Wähler gekostet. Das ist kein Königsweg. Ich sehe in allen Parteien und Gruppen Malefiz- Spieler, denen der Sinn vor allem nach Blockaden steht, und es gibt überall die Ungeduldigen, die wissen, daß es wie bisher nicht weitergehen kann. Wir brauchen den Mut zum radikalem Pragmatismus, um der Probleme Herr zu werden. Ich kann nur dringend dazu raten, daß diese Ungeduldigen sich formieren, um die Verhältnisse in Bewegung zu bringen. Der politische Eiertanz nach den Regeln der „political correctness“ stößt bei immer mehr Menschen auf Aggressionen. Die politische Kaste insgesamt wird als immer ätzender empfunden, weil die Leute das Gefühl haben, daß wir uns um die sie bedrängenden Probleme nicht kümmern. Das ist eine gefährliche, sich festsetzende Stimmung, die mich um die Zukunft der demokratischen Strukturen in diesem Land fürchten läßt.

Wie soll eine Koalition der Ungeduldigen funktionieren?

Erforderlich ist ein Aufbegehren der Ungeduldigen in allen Institutionen. In schwierigen Zeiten wie diesen braucht man den charismatischen Typus, der die Akten vom Tisch fegt und die alten Strukturen aufmischt.

Eine rot-grüne?

Das ritualisierte Parteiengehabe wirkt ganz bestimmt nicht wie ein Jungbrunnen für charismatische, ungeduldige Leute. Unter Verkrustungen ihres eigenen Ladens leiden alle – Rote, Schwarze und Grüne. Koalitionspolitisch und programmatisch spricht viel für Rot-Grün, aber unsere Koalition in Düsseldorf zeigt auch die Grenzen. Viele Grüne sitzen mental immer noch auf der Oppositionsbank. Im Zweifel steht bei ihnen die radikale Pose, die nichts verändert, immer höher im Kurs als ein problemorientierter, radikaler Pragmatismus. Viele der Konflikte, mit denen wir uns in in Düsseldorf herumschlagen, sind das unmittelbare Ergebnis einer Refundamentalisierung grüner Politik. Aber ich empfehle jenen bei uns, die sich mit den Grünen so schwertun, immer mal wieder in das Buch „Ende oder Wende“ von Erhard Eppler zu schauen. Da finden sich weit mehr radikalökologische Positionen als bei den Grünen heutiger Prägung. Interview: Walter Jakobs

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