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Dörner-Dämmerung

■ Werder ergurkt ein 2:1 gegen St. Pauli – und der Trainer redet inzwischen wie der Kanzler

Warnung: Depressionsgefährdete sollten in den nächsten Wochen den Weg zum örtlichen Sportstadion meiden. Vor allem dann, wenn Werder sich im Fußballspielen versucht. Der gemeine Fan muß schon eine gewisse psychische Stabilität mitbringen, um nicht hernach ins nahe Fließgewässer zu gehen. Nun hat Werder am Dienstag abend zwar mit 2:1 gegen die Schwachkicker aus Sankt Pauli gewonnen. Aber erstens war's genauso knapp wie zuvor gegen die potentiellen Absteiger Freiburg und Rostock. Zweitens häßlich. Drittens mit genauso viel Muffensausen in der Hose. Und viertens mit einer Trainererklärung, die doch schwerstens an die immergleichen Kommentare des dicken Kanzlers zu den jüngsten Arbeitslosenzahlen erinnert. Fließende Übergänge zwischen Politik und Fußball: Alles nicht so schön, aber wir arbeiten dran, ansonsten ist das „Konzept voll aufgegangen“(Dörner im Hansawellen-Interview). Und daß das Publikum das gar nicht so gesehen hat, das ficht den Chef nicht an. Im Gegensatz zu denen auf den Rängen „verstehe ich was vom Fußball“(Dörner ebenda). Dixie ist Helmut in grün-weiß, und wir erleben die Dörner-Dämmerung.

Nun gut, wollen wir nicht in das typische Bremer Gemaule verfallen. Ein Stündchen lang haben die ZuguckerInnen wenigstens den Hauch von Werder-Willen zu spüren bekommen. „Elf Wiedener sollt Ihr sein!“wurde in dieser Zeitung schon einmal als Parole ausgegeben. Wenn sie schon nicht spielen und tricky kombinieren können, dann sollen sie wenigstens kämpfen. Und das haben sie am Dienstag über 60 Minuten getan. Da wurde gefightet und gegrätscht, was die Knochen hergaben. Und selbst als die Bremer Defensivkräfte auf der linken Seite für einen Moment nicht acht gaben, dort der Hamburger Spieler Scherz auf das Recksche Tor zurannte und in der 18. Minute das 0:1 schoß, da rangen die Bremer weiter. Und zwar nicht nur mit sich selbst und dem Spielgerät – das kennen wir ja schon – sondern auch mit dem Gegner. Das war neu. Immer schön nach vorne geschrieen und gepeitscht durch Libero Magic Dieter Eilts, den es kaum in der eigenen Hälfte hielt. So soll es sein, so lieben wir ihn.

Nun gut, dann erkämpften (Wiedener-Prinzip!) die Bremer den Ball am Sankt Pauli-Strafraum, Brand rannte von schräglinks auf das Tor zu und semmelte den Ball aus spitzigem Winkel derart unters Lattenkreuz, daß Torsteher Thomforde kaum so schnell gucken, geschweige denn reagieren konnte. Nun gut, als dann noch Jungtalent Torsten Frings zwei, drei hüftsteife Hamburger Abwehrspieler in deren eigenem Strafraum schwindelig machte und so rechtzeitig vor dem heranrauschenden Heiko Scholz zurückzuckte, daß der das 2:1 schießen konnte, da freuten sich alle sehr. Nun gut, Werder spielte endlich mal wieder über die Flügel. Aber sonst?

Sonst müssen wir die Prophetie der taz-Köche Kalbhenn und Weber loben, die „Angsthasenkeulen mit Gurkensalat“auf den Spielplan-Speisezettel gehievt haben. Denn kaum war ein Stündchen gefüßelt, da kamen die ansonsten schwervergurkten Hamburger auf die Idee, Angriffsfußball zu spielen. Und schon sackte den Werderanern das Herz dorthin, wo es schon vor der Winterpause gebuppert hat: in die Hasenfüße.

Jetzt wollte so gar nichts mehr klappen. Wenn einmal die Herren Bode, Brand und Co. eine Großchance hatten – was gar nicht so selten vorkam – dann wurde die unter Garantie verhopselt und verstopselt. Dann landete der Ball am Außennetz oder anderen nutzlosen Stellen. Nur Håvard Flo (2,2 Millionen Mark) machte da eine Ausnahme. Der rannte derart tumb über den Platz und stand so oft im Abseits, daß man fast schon eine galoppierende Verhoschung befürchten muß. Soll heißen: Der hatte so gut wie gar keine Chance.

Dafür berannten nun die Kiez-Kicker das Bremer Tor, freilich so klotzfüßig, daß sie bis auf ein paar harmlose Weitschüsse kaum Gefahr versprühten. Doch selbst eine derart spielschwache Mannschaft vermag es zur Zeit, die Bremer Beine zu verbleien. Was ist bloß mit diesen Spielern los, daß sie sich so verunsichern lassen? Eine geschlagene halbe Stunde schwappte es aus gestrichen vollen grünen Hosen. „Hauptsache gewonnen“, meinte hernach Torsten Frings. Genau so haben sie gespielt.

Aber für den helmuthaften Trainer ist ja das Konzept „voll aufgegangen“. Wer an die schweren Auswärtsspiele denkt, die da bald kommen, dem muß angst und bange werden. Gemeiner Kommentar eines Altfans zum Kanzler-Trainer-Komplex: „Und Dörner verspricht die Halbierung der Punktezahl bis zum Jahr 2000.“ J.G.

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