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Im völlig falschen Film

Neue Schlacht im Teutoburger Wald: Das „Westfalen-Blatt“ kündigt drei Kinoredakteuren, weil sie „Larry Flynt“ rezensieren wollten  ■ Von Oliver Gehrs

So hatte sich das die Bielefelder Kinoredakteurin Heidi Wiese nicht vorgestellt. Da fährt man mal zur Berlinale, checkt bescheiden in einer Charlottenburger Pension ein, und das ist der Dank: Bei der Rückkehr in den Teutoburger Wald liegt die Kündigung auf dem Tisch. Einfach so.

Bei manchen Zeitungen geht das eben ganz schnell – vor allem bei denen, die es mit der internen Meinungsfreiheit nicht so genau nehmen. Zum Beispiel das Bielefelder Westfalen-Blatt (Auflage: ca. 145.000). In Heidi Wieses Fall reichte für ihren Rausschmiß schon eine Rezension, die sie gar nicht selbst geschrieben hatte und die auch nie erschien.

Es war einfach der falsche Film, nämlich „Larry Flynt“. Nicht jedermanns Sache und schon gar nicht die des stockkonservativen Chefredakteurs des Westfalen- Blatts, Rolf Dressler. Als Ende Februar eine Besprechung auf seinem Schreibtisch landete, die Milos Formans Film über den Hustler-Gründer nicht in Bausch und Bogen verurteilte, gingen bei Dressler sämtliche Lichter an. Wie bei einem Flipper.

Umgehend ordnete der Chefredakteur die Kündigung der verantwortlichen Ressortleiterin Wiese an, die immerhin seit fast zwanzig Jahren beim Westfalen-Blatt arbeitet. Grund: Der inkriminierte Artikel verstoße gegen die Tendenz des Blattes. Die hatte der greise Verleger Carl-Wilhelm Busse (der in Bielefeld hartnäckig unter dem Verdacht steht, Mitglied von Opus Dei zu sein) zuletzt in seiner Neujahrsansprache an die Leser als „konservativ geprägt“ bezeichnet und „dem Erhalt des Christentums als staatstragender Religion verpflichtet“. Inoffiziell heißt das: reaktionär bis an die Grenzen des Presserats. Nach dem Motto: Wenn Schwule und Ausländer schon frei draußen herumlaufen dürfen, muß man sie nicht noch im Blatt haben.

Mit entsprechenden Kommentaren und Leitartikeln hat es der Bayernkurier Ostwestfalens zumindest im nahen Erzbistum Paderborn zu einer Art Fastmonopol gebracht. Dort werden allzu liberale Autoren von der bibelfesten Stammleserschaft per Leserbief exorziert, falls Dressler mal was durchrutscht.

Die Kündigung der Leiterin der Kinoseite war freilich nur das Warm-up für den „Kreuzzug im eigenen Haus“ (Bielefelder Stadtblatt). Einmal in Rage, setzte der Chef nicht nur den Autor der Kritik gleich mit vor die Tür, sondern auch die altgediente Kollegin, die unglücklicherweise an diesem Tag die Seite produziert hatte. Dumm nur, daß beide Redakteure im Betriebsrat sitzen – also im besonderen Maße Kündigungsschutz genießen.

Noch dümmer, als der unbesprechbare Film plötzlich zum Sieger der Berlinale gekürt wurde und niemand mehr da war, der ihn kompetent hätte besprechen können. Also begnügte sich Chefredakteur Dressler mit einer Tickermeldung und haute selbst noch eine als Leitartikel getarnte Suada in die Tasten: „Der Regisseur Milos Forman mag leugnen, was er leugnen will: Die Verklärung des Pornoimperialisten Larry Flynt zu einem machtvollen Kämpfer für die Meinungs- und Pressefreiheit ist eine haarsträubende Zumutung. Wer sich dazu versteigt, folgt in der Konsequenz der perversen Philosophie des Larry Flynt: freie Bahn für Perverses und Pornographisches jeder Art und Abart... Warum nur schweigen sich die Berlinale-Preisrichter und die Filmrezensenten so verdächtig beharrlich über die wahren Zusammenhänge aus?!“

Für Kinobesucher unter den Abonnenten las sich Dresslers schwiemelige Verschwörungstheorie allerdings, als hätte der sittenstrenge Katholik den Film gar nicht gesehen, dafür aber einen Stapel Hustler unter dem Kopfkissen.

Schon vor der Berlinale war die Kinoseite in der Chefetage stets auf Vorbehalte gestoßen, zeigten doch da einige Querulanten jeden Donnerstag, daß es noch andere Freizeitvergnügen als den Gottesdienst gibt. Als dann noch der Semi-Comicstrip „Der bewegte Mann“ rezensiert wurde, gab es zum erstenmal richtig Ärger. So gesehen, kam es Chefredakteur Dressler wohl ganz gelegen, die vier Jahre alte Kinoseite endlich absägen zu können, obwohl die bei den Lesern recht beliebt war. Egal – seit Ende Februar erfahren sie nur noch das Nötigste.

Und das wird wohl noch eine Weile so bleiben, denn eine Einigung ist nicht in Sicht. Die entlassenen Redakteure haben sich einen Anwalt genommen, und Chefredakteur Dressler exerziert ein eisernes Schweigegelübde. Nun soll der Gang zum Arbeitsgericht zeigen, ob aus den einstweiligen Suspendierungen (mit Hausverbot) rechtswirksame Kündigungen werden.

In Bielefeld sorgt die Provinzposse derweil für beste Unterhaltung. Ausgerechnet den Pornofeinden vom Westfalen-Blatt hat es die Stadt zu verdanken, daß „Larry Flynt“ noch einmal in den Teutoburger Wald zurückkehrt, nachdem er wegen Erfolgslosigkeit schon längst von der Leinwand verschwunden war. Heute abend zeigt das Kino „Lichtwerk“ eine Extravorführung im Rahmen einer Solidaritätsveranstaltung für die entlassenen Redakteure: The people versus Rolf Dressler.

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