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■ NormalzeitVon der Tanz- zur Tankstelle und zurück

Erst wurde der Zapfer über „SB“ abgeschafft, dann die Werkstatt hintendran, jetzt geht es den 3.000 „kleinen“ unter den noch verbliebenen 18.000 deutschen Tankstellen komplett an den Kragen, wobei die Ökologie das Ihrige zu dieser Konzentration tut, indem sie beispielsweise Saugrüssel und öldichte Fahrbahnen fordert. Allein bei der Aral AG schlug diese „Modernisierung“ mit 150 Millionen Mark zu Buche sowie mit einem Umsatzrückgang von 4 Prozent – weil durch die Baumaßnahmen Kunden vergrault wurden.

In der kommunalen „Galerie am Scheunenviertel“ (Weinmeisterstraße) stellt gerade Ansgar Koch, der schon 1993 die Narva- Agonie sehr einfühlsam photographisch begleitete, seine schönsten Tankstellen-Photographien aus. Dabei handelt es sich fast durchweg um mitten im Fade- Away erfaßte Ost-Tankstellen: ihre Werbung ist bereits verblaßt, die Zapfsäulen abmontiert, und auch die Zwischennutzer sind oftmals schon weitergezogen. Mittels Poller und Zäunen wurden ihre überwachsenen Zufahrten zudem von der Straße abgetrennt. Der Dozent für europäische Ethologie an der HUB und Tankstellen-Archäologe Christian Hirte schreibt: „Diese Tankstellen sind keine Tankstellen. In der Regel waren sie schon keine mehr, als Ansgar Koch sich mit ihnen befaßte ... Sie haben nichts mehr zu sagen, als die Verneinung ihrer eigenen Versprechungen.“

Kurz vor der Privatisierung der „Minol AG“ durch den französischen Staatskonzern „Elf/Acquitaine“ hatten sie sich jedoch noch einmal kräftig ins Zeug gelegt und sich ein neues – „pinkfarbenes“ – Reklame-Outfit verpaßt, das bald bei jungen wie alten Karrieristen im Osten Mode wurde: Wer sich entschieden hatte, auch in der Marktwirtschaft oben mitzuschwimmen, der trug ab 1991 statt hellgrauer SED-Windjacken minolfarbene Hemden, Hosen und Jacketts. Seitdem auch dieser Existenzgründerwahn vorüber ist, hängen die minolfarbenen Klamotten en masse in den „Humana“-Läden. Unterdes wird eine Minol-Tankstelle nach der anderen geschlossen oder modernisiert und in „Elf/Acquitaine“ umfirmiert. Einmal im Monat bekomme ich von „den Franzosen“ eine Einladung zur Einweihung einer neuen „Groß-Tankstelle“ irgendwo im Osten. Meine Lieblingsgroßtankstelle ist jedoch von BP: an der Skalitzer Straße Ecke Mariannenstraße, in deren „Shop“ man zu jeder Tages- und Nachtzeit gute Brötchen, billigen Rotwein und gesundheitsschädlichen Tabak bekommt, neuerdings sogar die Ost-Zeitschrift Sklaven.

Aus Norwegen kommt via Dänemark indes eine neue Tankstellendebatte auf uns zu: Dort hält man die überall auf der Welt gleich orange, blau oder grün leuchtenden Tankstellen der großen internationalen Konzerne für „landschaftsverschandelnd“ und möchte sie zu angepaßterem Design zwingen. Der dänische staatliche Mineralölkonzern exerziert dies bereits vor, indem bis auf ein tragendes Betonteil seine Tankstellen (als „Visitenkarten im Downstream-Bereich“) architektonisch den jeweils örtlichen Gegebenheiten angepaßt werden, was hierzulande bisher nur einige Supermarktketten auszuprobieren wagen (mit mäßigem ästhetischen Erfolg im übrigen).

Die Neckarsulmer Kette „Lidl & Schwarz“ plant demnächst im Osten sogar, ihre von Ladenöffnungszeiten behinderten Supermärkte mit kleinen Tankstellen davor auszurüsten, wobei sie das Benzin „unter dem Einkaufspreis“ anbieten wollen. Aral und Esso installierten dafür 500 Geldautomaten von der Berliner Bank in ihren Tankstellen, und Shell will jetzt mit 150 Commerzbank- Automaten nachziehen. Noch weiter im Osten plant der Moskauer Mineralölhändler Achim Lutter gar Tankstellen, wo es rund um die Uhr alles gibt – „bis hin zum Bordell“. Auch hierbei wird jede Tankstelle individuell – mit einem Pächter zusammen – gestaltet. Architekt soll der Berliner Tobias Hammel sein, der einmal eine Tankstelle im Allgäu erbte und sich anschließend in seiner Diplomarbeit an der TU mit ihrer Neugestaltung befaßte. Wobei er – in neuer Analogie zur einst kommunikativen Kompetenz der alten „Poststationen“ – davon spricht, den Fluß der Mobilität mit seinen Tankstellen aufzunehmen – und für eine Weile zu halten. Helmut Höge

Morgen findet um 20 Uhr eine Diskussion über Tankstellen in der Galerie am Scheunenviertel statt.

wird fortgesetzt

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