■ Die Wahrscheinlichkeit, daß die gemeinsame Währung Euro zum vorgesehenen Termin, dem 1. Januar 1999, kommt, hat sich nach dem gestrigen Treffen der EU-Finanzminister in Brüssel dramatisch erhöht.: Waigel wird beim Euro weich
Die Wahrscheinlichkeit, daß die gemeinsame Währung Euro zum vorgesehenen Termin, dem 1. Januar 1999, kommt, hat sich nach dem gestrigen Treffen der EU-Finanzminister in Brüssel dramatisch erhöht.
Waigel wird beim Euro weich
Im Jahr 2003 kommt es zum Crash. Eine weltweite Spekulationswelle rollt gegen den Euro an. Der anno 1996 in Dublin beschlossene Stabilitätspakt führt dazu, daß die Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion ausgerechnet in einer konjunkturellen Dürrephase massive Sparmaßnahmen ergreifen müssen. Die Krise verschlimmert sich, Demonstrationen und Streiks legen inbesondere Frankreich lahm. Nach einem Streit zwischen Deutschland und Frankreich über den richtigen finanzpolitischen Kurs zerbricht die Währungsunion. Diese Vision hat der Brite David Lascelles, Vizedirektor des Londoner Centre for the Study of Financial Innovations.
Daß die Währungsunion kommt, bezweifelt kaum noch jemand. Aber wie sie kommt und ob sie funktioniert, das wird immer fragwürdiger. Ein grenzübergreifendes ökonomisches Experiment wird durchgezogen, mit ungewissem Ausgang, ja sogar unter ungewissen Bedingungen. Gerade daß man weiß, wie die künftigen Banknoten aussehen. Unbekannt ist dagegen immer noch, wer überhaupt künftig mit dem Euro zahlt. Und neuerdings weichen sogar die Deutschen in Brüssel von ihrer D- Mark-harten Position über die Startbedingungen ab.
In seinem Konvergenzbericht, den er gestern seinen Kollegen aus den anderen 14 Ländern vorlegte, mußte Finanzminister Theo Waigel einräumen, daß Deutschland mit einer Staatsverschuldung von 61,5 Prozent über dem Grenzwert im Maastricht-Vertrag liegt. Dennoch sieht sich die Bundesregierung weiterhin fest auf dem Boden des Vertrags. Schließlich sei der überhöhte Schuldenstand nur zeitlich begrenzt und in einer Ausnahmesituation begründet: der deutschen Vereinigung.
Immerhin will Waigel beim Haushaltsdefizit die Maastricht- Werte einhalten. 2,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts soll die Neuverschuldung nicht überschreiten. Der italienische Finanzminister legte den Finger auf den wunden Punkt bei Waigels Berechnungen. Das prognostizierte Wachstum von 2,5 Prozent sei reichlich optimistisch. Ein paar zehntel Prozent weniger, und das deutsche Defizit wird über die Dreiprozentmarke rutschen. Weiter geht Waigel von einer Arbeitslosenzahl von 4,1 Millionen im Jahresdurchschnitt aus. Aber derzeit sind 4,7 Millionen Menschen ohne Arbeit in Deutschland.
Schon fordern FDP und Teile der CDU ein Sparprogramm in zweistelliger Milliardenhöhe. Doch könnte sich die Regierung so in einen Teufelskreis bringen: Kürzungen bei den staatlichen Investitionen und Sozialausgaben führen zu geringerer Nachfrage. Dadurch bricht die Konjunktur weiter ein, die Steuereinnahmen sinken, die Kosten der Arbeitslosigkeit steigen. Das ganze Sparen würde somit zu einem noch höheren Defizit führen.
Vorsichtshalber rückte Waigel von seinem alten Dogma ab, daß es jenseits der drei Prozent keine Diskussion geben werde: „Drei Prozent sind drei Prozent, aber ich habe nie gesagt Drei-Komma-null Prozent.“ Die Wahrscheinlichkeit, daß der Euro zum vorgesehenen Termin kommt, hat sich dadurch dramatisch erhöht. In den anderen EU-Ländern wird der Maastrichter Vertrag schon lange weicher interpretiert. Mit großen Augen haben etwa Franzosen und Italiener die deutsche Diskussion um die strikte Einhaltung der Maastricht-Prozente beobachtet. Vor allem Italien befürchtete, daß die Bundesregierung damit vor allem das Ziel verfolgt, Italien draußen zu halten. Den meisten kommt es deshalb nicht ungelegen, daß nun Deutschland selbst an einer weicheren Auslegung des Vertrages interessiert sein muß. Die Mehrheit der EU-Länder hat ihrer Bevölkerung schon zuviel Sparpolitik zugemutet, als daß sie nun auf den Euro verzichten wollte.
Im Frühjahr kommenden Jahres will der Rat der Union anhand der Zahlen von 1997 darüber entscheiden, wer mit von der Partie sein darf. Ohne Gesichtsverlust könnte Waigel die Bundesrepublik womöglich in die Europäische Währungsunion ziehen lassen. Waigels europäische Ratskollegen haben gestern jedenfalls durchblicken lassen, daß sie Deutschland den Segen auch dann geben werden, wenn Waigel die Prozentmarken knapp verfehlen sollte. Doch Waigel möchte vorerst den Druck, den die Kriterien auf die EU-Regierungen ausgelöst haben, noch aufrecht halten: „Die Sparpolitik ist im nationalen Interesse aller, unabhängig vom Euro.“ Alois Berger, Nicola Liebert
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