: Selbstgenügsame Humorlosigkeit
■ „Piss Christ“ etc.: Wie das Museum in Groningen mit einer Fotoausstellung des Amerikaners Andres Serrano einen PR-tauglichen Medienskandal inszenierte
Eine stehende Frau uriniert einem knienden Mann in den Mund. Die in matten Farben gehaltene Halbnahaufnahme stammt von dem US-amerikanischen Fotokünstler Andres Serrano und ist im Groninger Museum ausgestellt, einem der neuesten und schönsten Kunsthäuser der Niederlande. Dort findet zur Zeit eine Retrospektive des Fotografen unter dem Titel „Die Geschichte des Sex“ statt.
Die Leitung des Museums ließ ein Plakat von dem Pärchen beim „Plas-Sex“ (so der holländische Ausdruck für Pinkelsex) drucken, das in Groningen und anderen niederländischen Städten aufgehängt werden sollte. Seit Wochen tobt nun ein erbitterter Streit um diese Ausstellung. Zu sehen sind in der Serrano-Ausstellung ansonsten eine Reihe weiterer Fotos zum Thema Sex (eine ganze Reihe seltsamer Aktfotos), Religion & Sex, ein Bild namens „Piss Christ“, ein abgeschnittener Kuhkopf auf einem Haublock, Installationen aus Samen und Blut, Sodomie usw. usf. Das „Plas-Sex“-Foto hatte er in den Niederlanden inszeniert: „Der niederländische Himmel bildet einen exzellenten Hintergrund für Sexfotos.“ Im übrigen wisse er, was Porno sei – und warum seine Werke nichts damit zu tun hätten: „Ich habe seit meiner Jugend Porno gekauft, aber meine Arbeiten sind nicht für den Sexmarkt bestimmt – sie sind Kunst.“ Niemand solle seine Werke „kaufen und dann masturbieren. Das wäre eine teure Angelegenheit.“
Gereizt von derlei Sprüchen, formierte sich eine breite Protestfront. Diverse Parteien Groningens protestierten, Elternverbände schlossen sich dem Widerstand an, und 19 Kirchen, Schulen und andere gesellschaftliche Organisationen versuchten mit einer einstweiligen Verfügung, das öffentliche Aufhängen der Bilder zu verhindern. Die Begründung: Die Bilder seien beleidigend und jugendgefährdend. Der juristische Begriff: „aanstotelijk voor de eerbarheid“ (ehrverletzend). Einen Tag vor der gerichtlichen Entscheidung verkündete die Museumsleitung, daß man vom Aufhängen der Poster absehen wolle.
Die angedrohte Klage hatte also Erfolg – übrigens für beide Seiten. Der Sturmlauf der Konservativen hatte der Ausstellung umgehenden Zulauf gebracht – die Eröffnung war überfüllt. Die Museumsleitung, glücklich über den Coup, verkündete, die Provokation habe ihren Zweck erfüllt. „Unglaublich“, jubelte Museumssprecher Josee Selbach, „gewaltig. So etwas haben wir noch nie mitgemacht.“
Scheinbar funktionierte alles nach dem klassischen Muster: Konservative Aufständische bedrohen die Freiheit progressiver Künstler. Die angesehene Zeitung NRC Handelsblad befand jedoch, daß die Dinge so einfach eben nicht liegen. Die Museumsdirektion habe sich mit der Posteraktion als „Meister des Opportunismus“ erwiesen. Alle nötigen Diskussionen über die Frage „Was darf die Kunst?“ seien in den Niederlanden eigentlich geführt – das „Plas- Sex“-Poster dagegen sei deshalb mehr oder weniger sinnlos, zeuge von schlechtem Geschmack und käme sogar einem Mißbrauch von Freiheit gleich. „Jeder weiß doch, daß die Frage ,Was ist Kunst und was nicht?‘ unmöglich zu beantworten ist“, so ein Kommentator. Frits Abraham, TV-Kritiker des NRC, befand nach einem Fernsehinterview mit Serrano: „Wenn er eine Parodie hätte geben wollen, dann könnte man herzlich darüber lachen, aber er meint es ernst, blutig ernst.“ Serrano hatte seine TV- Gesprächspartnerin um die Abgabe einer Kotprobe gebeten, weil er daraus Kunst machen könne. So etwas sei nichts anderes als „selbstgenügsame Humorlosigkeit“. Falk Madeja
„History of Sex“. Bis 19. Mai im Museum Groningen. Katalog 59,50 Gulden (ca. 55 DM)
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