: Israels Ministerpräsident ist ein Gefangener seines Machtstrebens
■ Die Opposition kann dem Regierungschef nicht viel anhaben, die Rechten haben keinen besseren Kandidaten
Tel Aviv (taz) – Seit seinem knappen Wahlsieg im vergangenen Frühjahr steht der politische Newcomer Benjamin Netanjahu unter permanenter Beobachtung. Die Frage lautete: Würde der unerfahrene Regierungschef die rechtskonservative Ideologie seiner Wahlkampagne wirklich zum Regierungsprogramm machen und damit den religiösen und auf „Großisrael“ orientierten Parteien Tribut zollen? Oder würde er sich – wie die meisten seiner Vorgänger – als im Grunde nationalistischer Pragmatiker entpuppen, der hinter einer Rauchwand von Likud-Rhetorik die weitgehend von Washington abhängige Kontinuität der israelischen Außen- und Wirtschaftspolitik wahrt?
Schon bald zeigte sich, daß der Regierungschef vor allem eins im Sinn hatte: das Überleben seiner Regierung. Äußeren oder inneren Zwängen gab er folglich erst dann nach, wenn sie wirklich bedrohliche Formen annahmen. Prinzipienlosigkeit lautete denn auch eine Kritik von rechts, die ihm der frühere Regierungschef Jitzhak Schamir vorhielt.
Kaum hatte er – allerdings nur dank einer US-Intervention – die Hebron-Verhandlungen mit den Palästinensern zu Ende geführt, geriet er unter den wachsenden Druck seiner eigenen Falken. Die Siedlerlobby forderte eine „großisraelische“ Demonstration, namentlich die Vollendung des Siedlungsgürtels um Jerusalem. Damit gewinnt Netanjahu kurzfristig zwar die Sympathien seiner enttäuschten Kollegen und Wähler zurück, macht sich jedoch international so unbeliebt wie nie zuvor. Und er provoziert arabische Reaktionen, die eine Fortführung des Friedensprozesses ernstlich in Frage stellen. Gleichzeitig stößt er den im Hebron-Abkommen revidierten „Fahrplan“ über die Fortsetzung der Verhandlungen und den weiteren israelischen Rückzug wieder um. Auch der zweite Termin für den Beginn der Endphaseverhandlungen mit den Palästinensern verstrich in dieser Woche, ohne daß etwas geschah. Überdies sind noch rund 50 weitere Vertragspunkte der Oslo-Abkommen von Israel nicht erfüllt worden.
Netanjahu ist kein Freund des Friedensprozesses
Israelische Netanjahu-Kenner behaupten, daß der Regierungschef glaubt, „sich einiges leisten zu können“. Einerseits, weil ihm die parlamentarische Opposition nicht viel anhaben kann, und andererseits, weil sich die rechtsextremen Kritiker innerhalb der Koalition nicht auf einen besseren Kandidaten als Netanjahu einigen können. Die Rechte wird das Risiko von Neuwahlen, die ihre Machtpositionen bedrohen könnten, nicht eingehen. Gleichzeitig scheint Netanjahu davon überzeugt, daß Washington ihn braucht, weil man dort meint, daß nur ein pragmatischer Führer des starken rechten Lagers Frieden mit den Palästinensern und der arabischen Welt schließen kann.
Nach einer anderen Version informierter „Netanjahulogen“ fühlt sich der israelische Premierminister nur pro forma an die von ihm prinzipiell abgelehnten Osloer Abkommen gebunden. In Wirklichkeit suche Netanjahu ernsthaft nach einem Weg, um den Friedensprozeß mit den Palästinensern endgültig scheitern zu lassen, ohne daß Israel dafür verantwortlich gemacht werden könnte.
Den Palästinensern überläßt Netanjahu die Wahl: Sie können sich seinem Diktat unterwerfen oder aber aufbegehren. Im letzteren Fall, so drohte Netanjahu jüngst, würden allerdings die Abkommen mit Israel außer Kraft gesetzt.
Bei den arabischen Politikern ist Netanjahus Unglaubwürdigkeit sprichwörtlich. Man traut ihm nicht. In der Region gilt derzeit Jassir Arafat als bester Netanjahu- Experte, der seinem unsteten „Partner“ Paroli zu bieten vermag. Bislang sind auch in Krisenzeiten die Kontakte zwischen Netanjahu und Arafat, zwischen ihren persönlichen Vertrauten und den Vertretern der Sicherheitsorgane nie abgebrochen. Vielleicht kann der gegenwärtige Konflikt mit internationaler Hilfe entschärft werden. Aber weitere Krisen sind vorprogrammiert – mit vielleicht unabsehbaren Folgen. Amos Wollin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen